Seit einigen Tagen überschlagen sich die Ereignisse im politischen Leben Bulgariens. Spätestens seit vergangenem Donnerstag steckt das Land in einer Regierungskrise. Knapp zwei Wochen nach den Europawahlen hat der liberale Juniorpartner in der Regierung, die Türkenpartei DPS, ihre Unterstützung für die Koalitionsregierung mit den Sozialisten entzogen. Sozialistenchef Sergej Stanischew gab gestern zu, dieser Schachzug des Koalitionspartners habe ihn „unangenehm überrascht“. Aber auch Stanischew überraschte mit seiner Reaktion auf das politische Geschehen – auf der gestrigen achtstündigen Vorstandssitzung der sozialistischen Partei sprach er sich für den sofortigen Rücktritt der Regierung aus. Damit erwischte Stanischew selbst seine eigene Partei kalt – bis dahin hieß es aus der Parteizentrale der Sozialisten, man solle mit den Neuwahlen abwarten, denn die Regierung habe ihr Potential noch nicht ausgeschöpft und im Parlament warten wichtige Gesetzentwürfe.
Stanischew strebte Beratungen mit den führenden Parteien, doch Präsident Plewneliew reagierte blitzschnell und rief gestern den konsultativen Sicherheitsrat zusammen. Am kommenden Dienstag sollen sich die Parlamentsparteien nicht nur auf einen vernünftigen Wahltermin einigen, sondern auch über die Nominierung des bulgarischen EU-Kommissars und über so wichtige Themen, wie die vorerst gestoppte Erdgasleitung South Stream und die auf Eis gelegte EU-Finanzierung.
Die Tradition, das Wahlgesetz unmittelbar vor Wahlen zu ändern, wird wohl auch diesmal eingehalten. Die bürgerliche Opposition besteht darauf, dass parallel zum Parlamentsvotum auch ein Referendum über die Einführung der Wahlpflicht durchgeführt wird. Diese Idee hatte der bürgerliche Präsident Plewneliew bereits im Februar formuliert. Die Sozialisten haben sie allerdings verworfen. Nach der offiziellen Scheidung der Regierungspartner hat aber Sozialistenchef Stanischew überraschend verkündet, seine Partei sei nun doch für die Wahlpflicht. Der Gedanke dahinter ist, dass eine höhere Wahlbeteiligung einerseits die Bedeutung des seit Jahren verbreiteten Stimmenkaufs deutlich mindern wird, und andererseits die Unterstützung für die Türkenpartei DPS nicht so stark ins Gewicht fallen wird, denn die liberale Partei hat das Limit an Stimmen aus ihrer Stammwählerschaft längst erreicht.
Angesichts dieser dynamischen Entwicklungen der letzten Tage fällt auf, dass sich der Ministerpräsident ins Schweigen gehüllt hat. Plamen Orescharski wird spätestens am Freitag ins Rampenlicht treten müssen – er wird mit Sicherheit im Parlament über das Pipeline-Projekt South Stream berichten müssen. Ob er aber vorher oder nachher den Rücktritt seiner Regierung bekannt geben wird, ist noch unklar. Klar ist, dass die Fragen weitaus mehr sind, als die Antworten.
Übersetzung und Redaktion: Vessela Vladkova
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