Das neue Europäische Parlament hat seine Arbeit aufgenommen. Hier wirken in den kommenden fünf Jahren die 751 Abgeordneten aus den 28 EU-Staaten, darunter 17 aus Bulgarien, die bei der Europawahl im Mai 2014 gewählt wurden. Nach der Wahl des Kommissionspräsidenten, des Ratspräsidenten und der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik in der vergangenen Woche beginnt nun die Anhörung der Kommissare für die einzelnen Ressorts. Diese müssen von den Europaabgeordneten bis zum 31. Oktober dieses Jahres gebilligt werden, wenn die Amtszeit der bisherigen Kommission ausläuft.
Was erwartet die bulgarische Europaabgeordnete Maria Gabriel in den kommenden Jahren von Europa?
"Europa steht eine sehr dynamische Entwicklung bevor. Die neue Amtszeit des Europäischen Parlaments ist durch eine sehr ernsthafte Fraktion mit äußerst antieuropäischen und nationalistischen Gruppen gekennzeichnet. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie die Behörden und Gesetzgebung der Gemeinschaft in Angelegenheiten blockieren, die die Fürsorge für 500 Millionen Bürger betreffen. Das ist eine Tatsache, mit der wir leben müssen, die im Namen der gemeinsamen europäischen Ziele jedoch gleichzeitig die beiden größten Fraktionen - die der Europäischen Volkspartei sowie der Sozialisten und Demokraten - zu verantwortungsvollem Handeln und Zusammenarbeit veranlasst. Mit der Besetzung der drei wichtigsten Ämter - Kommissionspräsident, Ratspräsident und EU-Außenminister - hat man gegen die lautstarken Erklärungen der Parteien wie etwa der von Nigel Farage, die EU sei unwichtig, ein starkes Zeichen gesetzt. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine, aber auch in der Europäischen Union mit der Wirtschaftskrise und der Forderung nach mehr Arbeitsplätzen, brauchen wir ein wirtschaftlich und politisch starkes Europa. Deshalb ist die personelle Besetzung der neuen Kommission sehr wichtig. Wir erwarten mit Ungeduld die Anhörung der Kommissare im Europäischen Parlament und hoffen, dass sie neben ihrem Engagement für die europäischen Werte auch konkrete Ideen für die gemeinsamen europäischen Politiken haben werden."
Welche sind die Hauptprioritäten?
"Die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Erholung der Wirtschaft, aber auch die gemeinsame Energieunion", ist die bulgarische Europaabgeordnete Maria Gabriel überzeugt. "Die Krise in der Ukraine hat offenbart, dass die Gemeinschaft zweifelsohne eine solche Union braucht, aber auch, dass Bulgarien direkt davon betroffen ist. Ein weiterer Punkt ist die Zuwanderungspolitik: was machen wir mit den Menschen, die aufgrund der Lage in ihren Heimatländern Rettung in Europa suchen. Das betrifft aber auch die Immigration innerhalb der Gemeinschaft. Wir dürfen keine neuen Kampagnen gegen Bulgaren und Rumänen zulassen, denn alle EU-Bürger sind gleich. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist ein wichtiges Thema. Die `Jugendgarantie` ist eine sehr positive Initiative, jedoch keine langfristige Lösung. Auch bedürfen wir einer Reindustrialisierung. Dazu als auch zum digitalen Binnenmarkt stehen solide Debatten zwischen den Fraktionen der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei Europas bevor. Allein die Vollendung des europäischen Digitalmarktes wird der Gemeinschaft 500 Milliarden Euro Gewinn bringen, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen. Ein weiteres Thema ist die Visumpolitik, an der ich aktiv mitarbeite. Es ist nicht normal, dass 2012 6,6 Millionen Touristen aufgrund von Verwaltungshindernissen auf eine Reise nach Europa verzichtet haben. Das sind Einnahmen, die die EU braucht. Die bevorstehende Dynamik fordert von der Gemeinschaft eine klare Antwort, inwieweit wir mehr gemeinsame Politiken wollen. Das bedeutet, dass die Mitgliedsstaaten ihr sorgsam gehütete Souveränität lockern und den europäischen Behörden mehr Befugnisse einräumen müssen."
Welche Risiken bergen die nächsten Jahre?
"Innenpolitisch dürfen wir die Dinge um die Jugendarbeitslosigkeit und das Gefühl der Zweiklassen-EU nicht aus den Augen verlieren", sagt Maria Gabriel. "Die außenpolitischen Risiken sind mit den Ereignissen in der Ukraine verbunden, aber auch in Syrien und im Nahen Osten. Auch die Beziehungen mit den Vereinigten Staaten sind sehr wichtig. Es stehen Verhandlungen zum Handelsabkommen an, bei denen wir sehr aufpassen müssen. Die Europäische Union will den weltweit größten euroatlantischen Binnenmarkt schaffen, was aber nicht zu Lasten von schwerwiegenden Kompromissen für die Europäer gehen darf. Auch sind wir gegen die Liberalisierung der Kultur - diese ist keine Ware wie andere, sowie gegen die s.g. geografische Herkunftsbezeichnung für Agrarerzeugnisse, insgesamt über 3.000, die unseren Regionen entsprechen. Neben den USA müssen wir strategische Beziehungen mit Russland und dem Nahen Osten unterhalten. Deshalb ist bei der Erörterung des gemeinsamen Standpunktes der Europäischen Union Transparenz ausgesprochen wichtig."
Übersetzung: Christine Christov
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