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Die Rentenreform, die Bulgarien erschütterte

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Der bulgarische Regierungschef Bojko Borissow und die Gewerkschaften haben wohl kaum geahnt, als sie sich an einem ruhigen Sonntagnachmittag über die Hauptparameter der Rentenreform einigten, welchen Sturm an öffentlichen Reaktionen und Erschütterungen das hervorrufen würde. Kundgebungen, Erklärungen und Ultimaten erschüttern die ganze Gesellschaft. Dieses soziale Problem wurde sehr schnell zu einem politischen und es könnte nach Meinung einiger Beobachter auch zum Auseinanderfallen der gegenwärtigen regierenden Koalition führen. Was hat zu diesen angespannten politischen Beziehungen und dem Zorn der Unternehmer geführt?

Bei diesen Reformen geht es hauptsächlich um zwei Dinge. Erstens wird die von der vorherigen Regierung von Bojko Borissow in Angriff genommene Rentenreform erneut vorübergehend angehalten. Ursprünglich sah sie das allmähliche Angleichen des Renteneintrittsalters für Männer und Frauen, indem dieses Alter um vier Monate jährlich wächst, bis es 65 Jahre für beide Geschlechter erreicht. Gegenwärtig müssen Frauen 60 Jahre und 8 Monate alt sein und die Männer 63 Jahre und 8 Monate, um in Rente zu gehen. Die Links-Mitte-Regierung zwischen den zwei Bojko-Borissow-Regierungen hatte diese Erhöhung des Renteneintrittsalters vorübergehend mit der Erklärung eingefroren, dass man die niedrigere Lebenserwartung der Bulgaren und ihre schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen berücksichtigen muss. Mit dem Jahre 2015 sollte das Anwachsen des Renteneintrittsalters wieder beginnen. Das zweite Kabinett Bojko Borissow willigte jedoch unter dem Druck der Gewerkschaften ein, die Pause auch auf das nächste Jahr auszudehnen. Dann sollte das ganze Rentenreformpaket vereinbart werden. „Das ist keine gute Nachricht“, lautete der Kommentar des bulgarischen Staatspräsidenten Rossen Plewneliew.

Der zweite Grund für die stürmischen Reaktionen gegen die Sozialpolitik der Regierung ist der Vorschlag des Finanzministers Wladislaw Goranow, den Bürgern die Wahl zu geben, ob sie ihre obligatorische Zusatzrente aus den privaten Rentenfonds oder aus dem staatlichen Nationalen Versicherungsinstitut erhalten sollen. Die bisherige sog. zweite Säule des Rentensystems bestand aus den universellen privaten Rentenfonds, die bereits 3,5 Milliarden Euro angesammelt haben. Die neue Idee wird offiziell mit „mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Demokratie“ begründet. Das könne nicht als Nationalisierung der privaten Rentenversicherung bezeichnet werden, was einige Berufs- und Geschäftkreise tun, sagt Finanzminister Goranow.

Die Wirtschaft braucht qualifizierte Arbeitskräfte und das sind Leute mit längerer Erfahrung, da die jungen und qualifizierteren in großer Zahl das Land verlassen – so begründen die Arbeitgeber ihren Wunsch, das Renteneintrittsalter weiter steigen zu sehen. Die privaten Rentenfonds befürchten eine Massenflucht der künftigen Rentner und den Verlust eines Teils der riesigen Ressource von 3,5 Milliarden Euro, falls die Rentenversicherten die Wahl zwischen privater und staatlicher Rentenversicherung bekommen.

„Selbst die kleinsten Änderungen im sozialen Bereich müssen nach sehr ernsten Diskussionen und eingehender Einschätzung erfolgen“, sagte der frühere bulgarische Sozialminister Iwan Nejkow. Seine Meinung, dass die Reformen überstürzt und nicht gut überlegt sind, teilen die meisten Wirtschaftsexperten. Das zweite Mitglied der regierenden Koalition, der rechte Reformblock erklärte kategorisch, dass er diese „gefährliche Idee“ nicht akzeptieren könne. Das sei eigentlich eine linke und populistische Politik. Wird die fragile parlamentarische Mehrheit zerfallen und die Regierung fallen? Das wird man schon morgen wissen, wenn die neue Rentenreformen im Parlament verabschiedet werden sollen. Man sollte auch nicht vergessen, dass der Regierungschef Bojko Borissow sehr empfindlich für die öffentliche Meinung ist und manchmal zu impulsiven Handlungen im letzten Moment neigt. Deswegen schließen die Beobachter die Möglichkeit nicht aus, dass die umstrittenen Entscheidungen „5 Minuten vor 12“ zurückgezogen werden.

Übersetzung: Vladimir Daskalov



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