Die Folkloristin Maria Kutewa schätzte die Interpretationskunst von Walkana Stojanowa wie folgt ein: „Sie singt nicht nur, sondern scheint die Lieder förmlich zu erzählen. Die Leichtigkeit und die Klarheit ihrer Interpretation hinterlässt den Eindruck, dass die Möglichkeiten ihrer Stimme schier keine Grenzen kennen.“
Es ist tatsächlich nicht einfach, die schwierige Ornamentik der langsamen Gesänge der bulgarischen Folkloreregion Thrakien überzeugend vorzustellen. Nur wenigen Sängerinnen gelingt es und sie werden stets als eine Erscheinung eingestuft, besonders wenn sie ein reiches Repertoire besitzen, wie Walkana Stojanowa, die über 350 Lieder sang.
Diese Lieder lernte sie im Verlauf ihrer Laufbahn als professionelle Volksliedsängerin. Viele darunter kannte sie noch aus ihrer Kindheit, als sie in ihrem Dorf Ljulin in der Nähe der ostbulgarischen Stadt Jambol an den Spinnstubenabenden und verschiedenen Volksfesten und Hochzeiten teilnahm. Sie sang vor allem bei der Arbeit oft mit ihrer Mutter zusammen. Als sie 14 Jahre alt war (man schrieb das Jahr 1936) beeindruckte sie mit ihrem Gesang auf einem der Volksfeste den Bruder des zu jener Zeit berühmten Klarinettisten Ramadan Lalow. Die Gesangsbegabung des Mädchens sprach sich schnell herum und Walkana wurde nicht nur zu Volksfesten in der Umgebung eingeladen, sondern auch zu ersten Aufnahmen. Und so schlug sie die Laufbahn einer Berufssängerin ein. 1951 wurde sie in das in Sofia gegründete Ensemble für Volkslieder und Tänze aufgenommen – als erste unter 430 Kandidatinnen. Der Ensemblegründer Philipp Kutew selbst war von ihrer Begabung beeindruckt und ließ sie häufig als Solistin auftreten – in Begleitung des Chores, wie auch des Hirtenflötenspielers Nikola Gantschew. Mit dem Philipp-Kutew-Ensemble bereiste Walkana Stojanowa ganz Bulgarien und die Welt. Im Alter von 70 Jahren beendete sie ihre Bühnen- und Aufnahmetätigkeit und widmete sich voll und ganz dem Unterrichten. Ihre Erfahrungen gab sie den Schülern der Folkloreschule in Kotel weiter, von denen viele heute anerkannte Künstler sind. Seit 1995 wird alljährlich im ostbulgarischen Straldscha, der Gemeinde in der sich ihr Geburtsdorf Ljulin befindet, ein nationaler Volksliedwettbewerb durchgeführt – er heißt „Mit den Liedern von Walkana Stojanowa“. 2015 wurde auch eine Stiftung auf ihren Namen gegründet. Etliche Folkloristen und Musikwissenschaftler Bulgariens haben über sie geschrieben, aber mit Worten lässt sich kaum ihre Kunst erfassen. Der bedeutende Fachmann der Musikkultur Thrakiens, Todor Todorow, erinnert sich an die Sängerin:
„Sie wurde nicht nur von den Folklorewissenschaftlern anerkannt, sondern auch von ihren Kollegen. Oft sang sie als Solistin des Philipp-Kutew-Ensembles. Wie sie selbst meinte, habe sie etliche Sängerinnen überschattet. In meinen Augen war sie ein Gigant, die Prima der Volksmusik. Ich kann viele ihrer Kollegen zitieren. Jowtscho Karaiwanow, einer der berühmtesten Sänger Thrakiens, gab einmal zu: „Ich war 10 Jahre alt, als ich sie mit dem Lied „Dimitar belädt den Frachtkahn“ hörte. Mir lief damals ein Schauer über den Köper und diese Interpretation berührt mich bis heute sehr stark und wird es eines Tages sicher auch im Jenseits tun.“ Die Sängerin aus Nordbulgarien Werka Siderowa meinte: „Ägypten hat seine Pyramiden. Unsere Pyramiden in Bulgarien sind unsere Folklore. Ganz oben auf diesen Pyramiden befindet sich Walkana, während wir in ihrem Schatten stehen.“ Werka hat mir oft gesagt, dass sie viel von Walkana Stojanowa gelernt habe, sowohl was die Gesangsinterpretation anbelangt, als auch die Bühnenpräsenz. Nedjalka Keranowa, eine weitere anerkannte bulgarische Volksliedsängerin, sagte einmal auf einer Zusammenkunft: „Unter uns ist eine Frau, der wir alle die Hand küssen müssen, weil ihr große Achtung gebührt. Sie ist die Mutter des bulgarischen Volksliedes – Walkana Stojanowa.“ Nadka Karadschowa ihrerseits nannte sie „Doyenne der bulgarischen Volksmusik“. Walkana war sich ihrer Stellung bewusst. Sie war äußerst präzise in ihren Interpretationen, gleichzeitig aber auch sehr kritisch gegenüber ihrer Arbeit eingestellt. Anlässlich ihres 70. Geburtstages, das war 1992, sang sie vor Publikum, während sie eine Kamera filmte. Als man ihr hinterher das Video zeigte, meinte sie zu mir: „Du darfst mich nie wieder auf die Bühne lassen!“ Als sie in ihrem Gesang ein langsames Vibrato vernahm, das an eine alte Grammophonplatte erinnerte, hörte sie tatsächlich auf, zu singen. Sie war auch gegenüber ihren Schülern sehr streng. Als Lehrerin in Kotel achtete sie auf jedes Detail. Dort hatte sie eine Lieblingsschülerin, die die beste unter allen ihren Zöglingen war. „Dessislawa – das ist meine Schülerin, die mich eines Tages ersetzen wird“, meinte Walkana Stojanowa. Sie beschäftigte sich außerordentlich viel mit ihr, war dann aber ungemein enttäuscht, als Dessislawa zum Pop-Folk überwechselte. Sie hat übrigens den Ersten Preis des Wettbewerbs „Mit den Liedern von Walkana Stojanowa“ gewonnen. Als Dessislawa die Bühne betrat und das Lied „Es erntete die schöne Jana“ anstimmte, das zu den emblematischen Liedern von Walkana Stojanowa gehörte, ging die betagte Sängerin zu Dessislawa, die ihr die Hand küsste und weitersang. Es gibt ein Reihe anderer solcher emotionsgeladener Momente. Über Walkana Stojanowa wird man immer reden, solange es die bulgarische Folklore und Bulgarien überhaupt gibt.“
Übersetzung und Redaktion: Wladimir WladimirowSeit mehr als 20 Jahren ist es in der nordwestbulgarischen Stadt Montana Tradition, am 6. Januar in den Park „Montanensium“ zu gehen. Dort gibt es einen künstlichen See, der für das orthodoxe Ritual „Rettung des Heiligen Kreuzes“ am Tag der..
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