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Medienfreiheit in Bulgarien – Wirklichkeit oder Wunschdenken?

"Wenn die Medien nicht funktionieren, wird ein jedes Land seine demokratischen Errungenschaften schwächen, auch wenn dann eine demokratische Fassade bestehen bleibt“, ist Botschafter Matthias Höpfner überzeugt.
Foto: BGNES
Die Medienfreiheit in Bulgarien war insbesondere in den Nachwendejahren oft Gegenstand von Analysen und Konferenzen. Immer öfter war der Anlass das erdrutschartige Abschneiden in den Rankings führender internationaler Organisationen. „Reporter ohne Grenzen“ bescheinigen der Medienfreiheit in Bulgarien momentan Platz 87 von insgesamt 179 Ländern der Welt. Im EU-Beitrittsjahr 2007 belegte das Land immerhin Rang 35. Freedomhouse bezeichnet die Medien in Bulgarien als „teilweise frei“. Und die Assoziation der europäischen Journalisten (AEJ) prangert die Schere im Kopf von einem Drittel der Journalisten in Bulgarien an. Diese negative Tendenz, aber auch die aktuellen gesellschaftspolitischen Prozesse in Bulgarien waren Anlass für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia, gemeinsam mit PanEuropa eine Konferenz über die Medienfreiheit und die Medienvielfalt zu organisieren.

Die Medienlandschaft hat eine enorme Bedeutung für die Demokratie. In demokratisch entwickelten Ländern ist das ein Gebot. Der deutsche Botschafter in Sofia Matthias Höpfner sieht jedoch die Demokratie in Bulgarien gefährdet, wegen zu hoher Konzentration im Mediensektor, intransparenter Eigentumsverhältnisse und ihrer Abhängigkeit von einigen wenigen wirtschaftlich einflussreichen und zum Teil oligarchisch vernetzten Strukturen.

„Medien sind das Lebenselixir der modernen Demokratie, wir reden ja auch inzwischen von Mediendemokratie, und nur mit Unterstützung der Medien kann eben die Demokratie funktionieren und ihre vollen Vorteile ausspielen”, betonte Botschafter Höpfner. „Wenn die Vermittlung und die Einordnung von politischen Vorgängen durch die Medien richtig funktioniert, dann wird sich selbst ein autokratisches oder ein politisches System mit oligarchieähnlichen Strukturen irgendwann demokratisieren. Aber auch umgekehrt – wenn die Medien nicht funktionieren, wird ein jedes Land seine demokratischen Errungenschaften schwächen, nach und nach verlieren, auch wenn dann eine demokratische Fassade bestehen bleibt.“

Unlängst zog Botschafter Höpfner den Zorn der sozialliberalen Regierung in Sofia auf sich, als er gemeinsam mit dem inzwischen abgereisten französischen Botschafter Philippe Autié einen bis dahin präzedenzlosen offenen Brief an die Regierungskoalition veröffentlicht hatte. Darin forderten Höpfner und Autié die Regierung auf, sich die Forderungen der Protestierenden anzuhören und mit den oligarchieähnlichen Seilschaften in der Politik ein für alle Mal Schluss zu machen. Verständlich, dass der deutsche Botschafter auf der gestrigen Medienkonferenz auf die Rolle der Presse in der Zivilgesellschaft hingewiesen hat.

„Das hier gezeichnete Bild ist in der Tat nicht sehr schön, aber ich sehe auch Licht am Horizont – die seit Monaten stattfindenden Prozesse sind, wie ich finde, ein Zeichen für ein allmähliches Erstarken der bulgarischen Zivilgesellschaft. Medienfreiheit und Medienvielfalt sind nun mal Grundwerte der EU und ein Grundrecht eines jeden EU-Bürgers. Eine sich allmählich emanzipierende aktive Zivilgesellschaft ist mit einem System freier und unabhängiger Medien eng verbunden. Letztlich geht das eine nicht ohne das andere“, unterstrich Botschafter Höpfner.

Und auch der Vorsitzende des Rats für elektronischen Medien in Bulgarien, Georgi Lozanow, sieht in der Berichterstattung über die laufenden Proteste eine positive Tendenz.
„Bis zum Winter waren die Proteste das Wahrzeichen der neuen Medien, d.h. der Online-Medien. Die Proteste wurden nur im Netz wahrgenommen, kommentiert und zum Teil auch erlebt“, beobachtet Lozanow. „Spätestens während der sozialen Proteste im Winter sind die traditionellen Medien aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und ließen diese aufgebrauste Energie der Zivilgesellschaft frei fließen. Das hat die Medienlandschaft in Bulgarien verändert, ohne die Proteste selbst zu bewerten“, kommentiert der Medienbeobachter Georgi Lozanow.

Eine Bewertung der Proteste erlaubte sich Christian Spahr, Leiter des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.
„Ich bin überzeugt, dass diese Idee des Ausgleichs und des Gemeinwohls einen großen Teil der Demonstranten auf die Straße getrieben hat. Es sind Bürger, die sich wünschen, dass es in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung allgemein akzeptierte Umgangformen gelten. Anders als man es erwartet hatte, haben die staatlichen Medien BNT und BNR hier durchaus positive Signale gesetzt, indem sie die Zwischentöne in der Berichterstattung zugelassen haben, während die Medienlandschaft sonst sehr polarisiert ist“, kommentierte Christian Spahr.

Die Diskussionsteilnehmer auf der Medienkonferenz rückten immer wieder die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich als Garantie für die Medienfreiheit in den Vordergrund. Für Georgi Lozanow vom Rat für elektronische Medien gibt es aber auch einen zweiten, nicht minder wichtigen Aspekt – die Bekundung politischer Zugehörigkeit.

„Damit haben wir in Bulgarien immer noch gewisse Schwierigkeiten, weil wir meinen, die offene Bekundung politischer Orientierung verletze die Pressefreiheit“, sagt Georgi Lozanow. „Eines Tages werden wir jedoch soweit sein, um anzuerkennen, dass die bekundete politische Zugehörigkeit eine Form der Medienfreiheit ist, denn dann wird dem Publikum offen gelegt, wer das Sagen im entsprechenden Medium hat“, ergänzt Lozanow.

Ein weiteres Problem der Medienlandschaft in Bulgarien, das oft und gern vernachlässigt wird, ist die Glaubwürdigkeit. „Reporter ohne Grenzen“ haben mehrfach in Umfragen und Analysen festgestellt, dass die Glaubwürdigkeit von Medien eine ganz zentrale Legitimationsressource für den Anspruch ist, den Medien für sich selber formulieren – der Anspruch, eine Art vierte Gewalt zu sein, die politische Kontrolle ausübt. Dazu Christian Mihr, der seit 2012 Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“ in Deutschland ist:

„In Südosteuropa wird unabhängiger Journalismus eingeschüchtert. Unabhängigen Journalisten wird die Arbeit durch politische und wirtschaftliche Korruption schwer gemacht. Unabhängiger Journalismus wird durch Gesetzgeber und Regierung eingeschüchtert, die Verleumdungs- und Beleidigungsparagrafen missbrauchen, um missliebige Meinung auszuschalten. Wir brauchen wirklich Medienpolitiker, aber auch Medienbesitzer und Journalisten, die sich wieder auf den Konsens für ein paar Grundprinzipien verständigen: Transparenz und Selbstregulierung, was am Ende für die Glaubwürdigkeit ganz zentral ist.“
По публикацията работи: Vessela Vladkova


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