Seit Anfang des Jahres bestehen keine Einschränkungen mehr für bulgarische und rumänische Staatsbürger auf dem Arbeitsmarkt in der gesamten Europäischen Union. Die Europäische Kommission meint, dass das Emigrationspotential aus beiden Ländern bereits erschöpft ist – über 3 Millionen Bürger aus Bulgarien und Rumänien leben und arbeiten bereits im EU-Ausland. Und trotzdem ebbt die Massenhysterie in Großbritannien vor einem vermeintlichen Sturm auf die Sozialkassen der Insel nur langsam ab. Die bulgarische Politikwissenschaftlerin Joana Baltschowa, die in London lebt und arbeitet, erklärt sich die übertriebene Negativ-Debatte in Großbritannien mit einem nicht zu erfüllenden Versprechen des britischen Premierministers David Cameron – bis 2015 wolle er die Immigranten auf 100.000 Menschen runterdrücken.
„Allein 2013 erreichte die Zahl der Einwanderer in Großbritannien 175.000“, sagt Joana Baltschowa einleitend. „Die Senkung dieser Zahl gehörte zum Wahlprogramm des konservativen Premiers und seine Wähler von 2010 haben nun das Gefühl, dass er sie betrogen hat. Zugleich stagniert die Wirtschaft. Somit werden die Immigranten Opfer in einer innenpolitischen Debatte“, kommentiert die Politologin.
Und so verließ die Debatte auf der Insel die Grenzen der Vernunft – in britischen Tageszeitungen war tatsächlich zu lesen, dass 29 Millionen Rumänen und Bulgaren Großbritannien stürmen werden. Ein schneller Blick im Internet verrät, dass diese Zahl deutlich über der Bevölkerungszahl beider Länder liegt. Mehr noch – nur einer von 1000 britischen Staatsbürgern hat eine bulgarische Herkunft, und nur einer von 600 Arbeitslosen auf der Insel hat einen bulgarischen Pass. Sage und schreibe 148 bulgarische Mütter beziehen Kindergeld, während allein die bulgarischen und rumänischen Studenten auf der Insel 30 Millionen britische Pfunds in Form von Studiengebühren mit sich nach Großbritannien bringen.
Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Bulgaren und Rumänen hat auch in Deutschland große Wellen geschlagen. Die Armutszuwanderung sorgte für erste Kontroversen in der blutjungen großen Koalition von Angela Merkel. Die Debatte über angebliche Armutszuwanderer aus Südosteuropa beschäftigt nun ein eigenes Gremium der Bundesregierung: Das schwarz-rote Bundeskabinett hat einen Staatssekretär-Ausschuss eingesetzt, der die Debatte versachlichen soll. Emilian Lilow von der bulgarischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn mit Einzelheiten über die bulgarischen Einwanderer in Deutschland.
„Jeder fünfte Bulgare in Deutschland hat einen Hochschulabschluss, und rund 18 Prozent machen eine Lehre oder studieren“, sagt Emilian Lilow. „Auf der anderen Seite stehen 40 Prozent der in Deutschland lebenden bulgarischen Staatsbürger, die keine Berufsausbildung haben oder als Saisonarbeiter nach Deutschland kommen. Es gibt auch eine dritte Gruppe Bulgaren, die zwar eine Berufsausbildung haben, jedoch in Deutschland als Krankenpfleger arbeiten. Für all diese Menschen gilt, dass sie keine Armutszuwanderer sind, sondern Arbeitsemigranten, wie es in Deutschland viele und aus unterschiedlichen Ländern gibt. Was die Sozialschmarotzer-Debatte betrifft, so gibt es insgesamt etwa 100 solcher Fälle. Es kann also von keiner Massenerscheinung die Rede sein. Und noch eine Zahl – gerade mal 8,8 Prozent der bulgarischen und rumänischen Einwanderer beziehen in Deutschland Kindergeld. Zur Zeit gibt es keine Anzeichen, dass man bei den bulgarischen und rumänischen Einwanderern von Sozialleistungsbetrug sprechen kann. Daher sollte man auf die Bulgaren und Rumänen nicht mit dem Finger zeigen. Ich gehe davon aus, dass der angesetzte Ausschuss der Bundesregierung ebenfalls zu diesem Schluss kommen wird“, sagte abschließend der Journalist Emilian Lilow.
Redaktion: Vessela Vladkova
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