Die am Freitag verabschiedete umstrittene Rentenreform wird überhaupt nicht in der vorgesehenen Frist starten. Diese sowohl überraschende, als auch zu erwartende Entscheidung fiel am Sonntag nach einem Treffen des Premierministers Bojko Borissow mit dem Kovorsitzenden des Reformblocks Radan Kanew, der drohte, die Koalition zu verlassen und den Sturz des Kabinetts herbeizuführen.
Der Druck von allen Seiten auf die Rentenreform, die seit einer Woche wesentliche und stark kritisierte Änderungen des bisherigen Rentenmodells einführen möchte, wuchs in den letzten Tagen Stunde um Stunde. Gegen die Vereinbarungen der Regierenden von der GERB-Partei mit den Gewerkschaften sprachen sich alle parlamentarischen Fraktionen mit Ausnahme der Bewegung für Rechte und Freiheiten aus, auch Berufsverbände, Arbeitgeber, die Unternehmer als Ganzes, einfache Bürger, die sich durch Straßenproteste bemerkbar machten. Alle weigerten sich, die von den Regierung vorgeschlagenen Änderungen zu akzeptieren, wonach die Rentenversicherten das Recht erhalten zu entscheiden, ob sie ihre zweite Rente von einem privaten Rentenfonds erhalten wollen oder vom staatlichen Nationalen Versicherungsinstitut.
Bisher kontrollierten die angesammelten knapp 4 Milliarden Euro dieser zweiten Rentensäule ausschließlich private Versicherungsgesellschaften. Die Gegner der Reform warfen ihr eine schleichende Nationalisierung vor und eine Vernichtung der privaten Rentenversicherer, die unfähig seien, sich erfolgreich gegen die vernichtende Konkurrenz des staatlichen Giganten zu behaupten. Viele politische und soziale Experten, selbst Minister und der Präsident des Landes Rossen Plewneliew betonten, dass die Veränderungen nicht ausreichend durchdacht und übereilt seien und mit unklaren Ergebnissen; sie würden das Rentensystem „sprengen“ und das sei nicht im Interesse der künftigen bulgarischen Rentner. Nicht, dass sie heute mit ihren Renten besonders glücklich sind, die nicht mehr als 450 Euro im Monat betragen können. Die neue Reform würde das ohnehin defizitäre Rentensystem im Land ins Wanken bringen.
Zu den kategorischsten Gegnern der formal vom Parlament „endgültig“ verabschiedeten Maßnahmen gehören die Koalitionspartner der regierenden GERB-Partei vom rechten Reformblock, sowie die sie unterstützende patriotische Koalition und die sozialdemokratische Partei ABW. Gar nicht von der sozialistischen Partei zu sprechen, die sogar mit dem Verfassungsgericht drohte. Einzig die oppositionelle Bewegung für Rechte und Freiheiten sprach sich für die Novellen aus. Das alles rief eine starke Krise hervor und brachte die regierende Mehrheit dramatisch ins Wanken, die ohnehin ziemlich inhomogen und zerbrechlich ist.
Angesichts der Gefahr einer parlamentarischen und Regierungskrise scheint der Regierungschef Bojko Borissow den Umfang der drohenden Katastrophe erkannt zu haben und er schlug im Sinne der in letzter Zeit von ihm demonstrierten und für ihn überraschenden Dialogfähigkeit und Kompromissbereitschaft vor, die Reform bis zum Erzielen einer Einigkeit in der Koalition zu vertagen. Das könnte laut dem rechten Reformblock bis Ende Januar dauern. Bis dahin werden die offiziellen Unterlagen zur praktischen Durchführung der Gesetzesnovellen nicht veröffentlicht und man will verhandeln. „Durch einen direkten politischen Dialog werden wir die Entscheidungen über die Zukunft des Rentenmodells treffen und keinen Einfluss der Bewegung für Rechte und Freiheiten auf die politische Macht und den Finanzsektor zulassen“, erklärte der Kovorsitzende des Reformblocks Radan Kanew.
Übersetzung: Vladimir Daskalov
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