Die Situation in Mazedonien steht in Bulgarien ganz besonders im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Grund dafür ist nicht nur, dass es ein Nachbarland ist oder weil Bulgarien die Unabhängigkeit Mazedoniens als erstes Land der Welt schon am 15. Januar 1992 anerkannte.
Laut Lubomir Kjutschukow, Direktor des Instituts für Wirtschaft und internationale Beziehungen, verlaufen die Prozesse in den Nachfolgestaaten des zerfallenen Jugoslawiens und speziell in Mazedonien auf mehreren unterschiedlichen Ebenen. An erster Stelle sind da die Prozesse des Aufbaus eigener staatlicher Institutionen, was in manchen von ihnen sogar zum ersten Mal in der neueren Geschichte erfolgte. Bosnien-Herzegowina und Mazedonien standen plötzlich vor der schwierigen Aufgabe, den Übergang vom Teil einer multinationalen Konföderation zu einem selbständigen Nationalstaat zu vollziehen und dabei die multiethnische Toleranz in der Gesellschaft zu bewahren. Auf der zweiten Ebene ist der albanische Faktor. Das ist der jüngste und dynamischste Faktor, stark expansionsorientiert, mit einem enormen Risikopotential für die Stabilität der Region. Dabei verstärken sich auch die Bestrebungen für eine Vereinigung aller ethnischen Albaner im ehemaligen Jugoslawien um Kosovo. Der dritte Faktor laut Lubomir Kjutschukow ist die Unfähigkeit der mazedonischen Gesellschaft und der mazedonischen Politiker, die komplizierten inneren Probleme des Landes zu lösen.
„Das Abkommen von Ohrid, das die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2001 in Mazedonien beendete, hat die Grundlage für den Aufbau einer modernen Gesellschaft im Land geschaffen. Es konnte aber nicht alle Widersprüche aus der Welt schaffen“, meint Lubomir Kjutschukow. „Die politische Situation hat eine Staatsführung zutage gebracht, die nach Meinung vieler die demokratischen Prinzipien verletzt und autoritäre Methoden einsetzt. Korruptionsvorwürfe und Skandale sind auf der Tagesordnung. Hinzu kommt die sich verschlechternde soziale und Wirtschaftslage und die zunehmende Verarmung der gesamten mazedonischen Bevölkerung. Diese Probleme führen neben den ethnischen Widersprüchen zu einer weiteren Ebene der Konfrontation – der wirtschaftlichen und politischen“, so der Experte. „Ein vierter und besonders wichtiger Faktor ist die Position der Europäischen Union“, meint er weiter. „Es gibt sozusagen ein ‚europäisches Defizit’. Die Erklärung des Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker, dass in den kommenden fünf Jahren keine Erweiterung der EU in Aussicht ist, ist kontraproduktiv, denn sie führt zum Verlust des Horizonts, der Motivation und der vereinigenden Rolle der Anstrengungen, die Beitrittskriterien zu erfüllen. Das führt ebenfalls zu einer Vertiefung der inneren Probleme in Mazedonien“, meint der Experte.
Wie wirkt sich die Situation in Mazedonien auf die Beziehungen zu Bulgarien aus?
„Bulgarien hat, wie die anderen Balkanstaaten, allen Grund dafür, über die Destabilisierung der politischen Situation in Mazedonien beunruhigt zu sein“, sagt Lubomir Kjutschukow. „Die Konfrontation auf ethnischer und religiöser Basis ist auf dem Balkan besonders schwer zu bändigen, selbst von diesen Kräften, die darin verwickelt sind. Wir haben viele Beispiele dafür – in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und auch in Mazedonien selbst vor 15 Jahren. Das alles wirkt sich zwangsläufig auf die Stabilität der gesamten Region aus. Die Hauptfrage ist hier meiner Ansicht nach, ob Bulgarien auch genug für die Entwicklung der bulgarisch-mazedonischen Beziehungen und im Hinblick auf die Stabilisierung der Region tut. Ich denke, dass der einzige langfristige Ausweg daraus die Auflösung der angehäuften historischen, ethnischen, kulturellen und religiösen Widersprüche in der größeren Gemeinschaft der Europäischen Union wäre, wo Staatsgrenzen irrelevant sind. Nur so könnte das destabilisierende Potential der Länder des West-Balkans neutralisiert werden. Die wichtigste Aufgabe jetzt ist, eine weitere Destabilisierung Mazedoniens zu verhindern und den mazedonischen Staat zu festigen, denn eventuelle Zerfallserscheinungen könnten die gesamte Region explodieren lassen. Aus diesem Grund ist Bulgarien auch im Namen der eigenen Entwicklung und Stabilität daran interessiert, dass alle West-Balkan-Staaten möglichst schnell in die EU integriert werden. Die sicherste Lösung der real existierenden bilateralen Probleme ist nicht die Belastung des Integrationsprozesses mit weiteren neuen Bedingungen, sondern dass man einfach darauf besteht, dass die EU-Beitrittskriterien erfüllt werden. Und die schließen halt gutnachbarschaftliche Beziehungen ein“, sagt der Experte und Direktor des Instituts für Wirtschaft und internationale Beziehungen Lubomir Kjutschukow abschließend.
Übersetzung: Petar Georgiew
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