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Der lange Schatten der Stasi 26 Jahre nach der Wende

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Foto: Vessela Vladkova

Seit 2011 ist der 1. Februar in Bulgarien der Tag, an dem die Opfer des kommunistischen Regimes geehrt werden. Das Datum ist nicht zufällig gewählt: am 1. Februar 1945 verhängte das sog. Volksgericht die Todesurteile über Abgeordnete, Ministerpräsidenten und Minister der vorkommunistischen Regierungen, über die drei Regenten des damals minderjährigen Zaren Simeon II., Journalisten und Zeitungsverleger, Generäle und Offiziere. Zu dieser dunklen Zeit der neuen bulgarischen Geschichte gehört auch der repressive Apparat der früheren Staatssicherheit, mit deren Erforschung und Aufarbeitung sich Bulgarien auch 26 Jahre nach der Wende nur am Anfang befindet. Zu den Pionieren dieses langen und komplizierten Prozesses gehören die Journalistin Maria Dermendschiewa und der Historiker Momtschil Metodiew. Kürzlich kam ihre umfangreiche Studie über den professionellen Werdegang führender Stasi-Offiziere auf den Buchmarkt in Bulgarien.

СнимкаDie Stasi-Vergangenheit gehört nicht zu den aktuellen Themen der bulgarischen Öffentlichkeit, obwohl die Missgeschicke unseres Nachwendelebens sehr oft, wenn nicht ausschließlich mit den Stasi-Verbindungen von einflussreichen Politikern und Wirtschaftsleuten erklärt werden. Die Studie "Die Stasi – Vorsprung durch Abstammung" ist ein Ausgangspunkt für die Rekonstruktion des Funktionsmechanismus dieses repressiven Apparats vor und nach der Wende in Bulgarien. Sie erscheint 26 Jahre nach `89 und manch einer würde sagen: viel zu spät. "Nicht für Bulgarien", kontert Maria Dermendschiewa, und erläutert:

"Wenn man bedenkt, dass die Stasi-Akten in Bulgarien erst 17 Jahre nach der Wende geöffnet wurden, wundert es nicht", sagt die Autorin. "Die Bulgarische sozialistische Partei, d.h. die umbenannte ehemalige KP, hatte die ersten demokratischen Parlamentswahlen 1990 gewonnen und für sie war die Offenlegung der Stasi-Vergangenheit sicherlich keine Priorität. Dafür aber haben es die ehemaligen Kommunisten geschafft, eine Reihe von Mythen und Legenden über die Stasi-Mitarbeiter in die Welt zu setzen, dass sie für die nationale Sicherheit gearbeitet haben und ausschließlich patriotische Interessen verfolgt hätten. Das wird nun allmählich widerlegt, denn die tiefgreifende Untersuchung der Stasi-Akten geht voran", sagt Maria Dermendschiewa.

СнимкаDer Historiker Momtschil Metodiew geht in der Suche nach einer Erklärung für die verspätete Aufarbeitung noch weiter zurück in die Geschichte, und nennt noch einen Grund dafür:

"Wenn es etwas gibt, womit ich als Bürger auf die Wende in Bulgarien stolz bin, dann ist es der friedliche Übergang ohne ethnischen Konflikte", betont Metodiew. "Ende der 1980er Jahre erlebte Bulgarien der von oben angeordnete und aufgezwungene Austausch der Namen der bulgarischen Türken. 1990 war die ethnische Spannung in Bulgarien so groß, dass viele westeuropäische Beobachter erwartet haben, dass das, was später im ehemaligen Jugoslawien passiert ist, eigentlich in Bulgarien passiert. Im Gegensatz zu den übrigen ehemaligen Ostblockländern hatte Bulgarien nach der Wende offensichtlich ein weiteres Problem zu lösen. Und bei der Einstufung der Probleme blieb die Offenlegung der Stasi-Akten im Hintergrund, selbst für die damalige antikommunistische Opposition. Wären die Akten schon 1990 geöffnet worden, hätte Bulgarien eine andere, wenn nicht grundlegend bessere Entwicklung eingenommen. Denn die heutige Elite, die ihre Wurzeln in der Vorwendezeit hat, hätte sich wesentlich mühevoller organisiert und durchgesetzt", meint Momtschil Metodiew.

Ihm zufolge unterscheidet sich Bulgarien von den übrigen ehemaligen Ostblockländern nur wenig, was die Reife der Zivilgesellschaft betrifft. Doch, ihre Kraft reichte nicht aus, um die kommunistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Mehr noch – die zögerliche Offenlegung der Stasi-Akten machte es möglich, dass die alten Stasi-Connections auch heute noch greifen, und somit hat Bulgarien wertvolle Jahre in der Durchsetzung der demokratischen Werte verloren. Stattdessen setzte sich die Arroganz durch.

"Die Arroganz in allen Wortbedeutungen ist das wesentliche Merkmal der Stasi", sagt Momtschil Metodiew weiter. "In unserer Studie behaupten wir, dass sich diese Arroganz nach der Wende auf alle Lebensbereiche ausgeweitet hat, wo die ehemaligen Stasi-Offiziere einen Einfluss ausüben konnten, einschließlich auf die Privatwirtschaft. 26 Jahre nach der Wende beobachten wir in Bulgarien einen moralischen Konflikt zwischen dieser durch alte Beziehungen entstandenen Elite und der normalen Mittelklasse in unserer Gesellschaft, die ihr Leben aus eigener Kraft gestaltet", sagt der Historiker.

Nach der Auflösung der Staatsicherheit nach der Wende mussten sich die freigestellten Offiziere und Mitarbeiter eine andere Beschäftigung suchen, und fanden sie sehr oft in der Wirtschaft. Dabei nutzten sie ihre bisherigen Kontakte weiter, und zwar ungestört, denn die Akten waren ja nicht offengelegt. So breitete sich ein Netz in allen Lebensbereichen aus, das die heutige politische und wirtschaftliche Elite des Landes wenn nicht bestimmt, so zumindest ihr nicht feindlich gegenüber steht. "Ein Beispiel dafür ist die verspätete Privatisierung in Bulgarien, die erst gegen Ende der 1990er Jahre begonnen hat, als die neue Elite sowohl an Reichtum, als auch an Einfluss zugewonnen hat", erläutert Momtschil Metodiew.

"Diese Beziehungen und Kontakte, die im Hintergrund laufen, werden von den heutigen Geheimdiensten gezielt geschützt", fügt Maria Dermendschiewa hinzu. "Heute beobachten wir eine Symbiose zwischen der Privatwirtschaft und den staatlichen Strukturen. Die Beziehungen und Kontakte aus dem Hintergrund hinterlassen bei den `Normalbürgern` den bitteren Nachgeschmack, dass sie allein nichts stemmen können, weil sie einfach nicht zu der Gruppe der Auserwählten gehören", erläutert die Autorin.

Maria Dermendschiewa und Momtschil Metodiew haben ihre umfangreiche Studie "Vorsprung durch Abstammung" genannt. Und eben "Vorsprung durch Abstammung" werfen viele in Bulgarien der amtierenden Generaldirektorin der UNESCO Irina Bokowa vor, die eine aussichtsreiche Kandidatin für den Posten des UN-Generalsekretärs ist. Bokowa entstammt einer bekannten und einflussreichen kommunistischen Familie und genoss dadurch den Vorteil einer guten Ausbildung im westlichen Ausland. Dermendschiewa und Metodiew zweifeln zwar an ihren Fähigkeiten für den hochrangigen Posten nicht, sondern an ihrer Moral. "Sie hat die Verbrechen des kommunistischen Regimes, während dessen sie große Privilegien genossen hat, bis zum heutigen Tage nicht verurteilt", prangert Maria Dermendschiewa an. Und Momtschil Metodiew ergänzt:

"Wir alle wissen, dass man die Kinder für die Verbrechen ihrer Väter nicht urteilen dürfen. Ich spreche ihr Recht nicht ab, auch nach der Wende und dank der Privilegien aus der Vergangenheit Karriere zu machen. Doch, wie denkt sie über die kommunistische Diktatur? Und wie kann jemand UN-Generalsekretär werden wollen, ohne grundlegende moralische Fragen beantwortet zu haben?", fragt sich Montschil Metodiew.



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