„Die Reichen schenken Elektronik, die Armen – Bücher“ – so lautete der Untertitel eines Fernsehbeitrags, der am Vorabend des ersten Advents über die Bildschirme flatterte. Pünktlich zum alljährlichen Shopping-Wettlauf in der Vorweihnachtszeit ließ uns die Reporterin des zweitgrößten privaten TV-Senders wissen, wie der Geschenketrend in diesem Jahr ist. Ihre Umfrage in einem hauptstädtischen Einkaufszentrum kam zum Urteil: wer keinen dicken Geldbeutel hat, der verschenkt eben Literatur.
Dieser oberflächliche Beitrag in den Hauptnachrichten würde man vielleicht auch übersehen – schließlich laufen solche Zweiminüter jedes Jahr – wenn die Kollegen mit ihrem Untertitel nicht völlig unbeabsichtigt einen Nerv getroffen hätten. Die Bücher, und überhaupt die Kultur, werden in Bulgarien zunehmend als eine Beschäftigung für Taugenichts empfunden. Kulturschaffende gelten ohnehin als Müßiggänger, die nichts Gescheites gelernt haben: Der Maler pinselt nur vor sich hin, der Musiker fiedelt von morgens bis abends, und der Schriftsteller – na ja, der hat wohl nichts Besseres zu tun, als irgendetwas hinzukritzeln. Dafür bekommen sie auch noch Geld. Und dann heißt es im Volksmund noch, der Rest der Bevölkerung, der sich kaputtschuftet, muss diese Tagediebe auch noch huckepack tragen.
Diese weit verbreitete Auffassung ist gefährlich, weil sie sich von überall einschleicht – angefangen bei den Kindern zu Hause, in der eigenen Familie, wo sie immer seltener ein Buch in die Hand gedrückt bekommen, bis hin zu den Erwachsenen im Büro, wo man beim Kaffeetratsch nach Weihnachten das geschenkte Buch vermutlich lieber verschweigen würde. Denn im Fernsehen hat man es uns ja gesagt – Bücher schenken nur die Armen, und man will sich im Büro nicht als arm verkaufen.
Diese sich einschleichende Auffassung, dass man die Kultur eh nicht braucht, gedeiht natürlich im Europas Armenhaus besonders gut. Wer gibt schon Geld für Bücher und Theater aus, wenn am Ende des Geldes noch viel Monat ist? Eine neue Welt entdecken? Eine andere Weltanschauung kennen lernen? Von einem Bild, Ton oder Text wachgerüttelt werden? Das braucht der Mensch von heute nicht, er hat ja schließlich facebook und Fernsehen, da erfährt er alles, was er braucht. Es ist aber eben nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch des inneren Bedürfnisses, das einem anerzogen wird. In diese so verantwortungsvolle Aufgabe schlüpfen nicht nur die Familie, sondern auch die Medien. In Zeiten, wie die unseren, wenn alte Werte übereilt und unüberlegt über Bord geworfen werden, ist es besonders ratsam, in sich einzukehren und nachzudenken. Ohne Bücher, Musik, Theater und Geschichte ist Nachdenken undenkbar.
Für diese sich einschleichende Auffassung, man braucht keine Aufklärer mehr, tragen die Kulturschaffenden ihren Teil der Schuld. Dafür gibt es viele Beispiele, das jüngste lieferte uns erst vor wenigen Wochen das Referendum zur Wahlrechtreform. Die Intellektuellen neigen seit der politischen Wende in Bulgarien dazu, sich vom Tagesgeschehen zu distanzieren. Dafür könnte man auch Verständnis aufbringen – vor der Wende schmückte sich die politische Elite gern mit der Kulturelite des Landes. Wer von der kommunistischen Nomenklatura profitiert hat, soll in Vergessenheit geraten. Man wirft gern alles in einen Topf.
Insbesondere in Umbruchzeiten ist jedoch bei schicksalsträchtigen Entscheidungen die Meinung der Intellektuellen unentbehrlich. Es geht nicht an, sich selbst in die Isolation zu verbannen, auf die tagespolitischen Prozesse herabzusehen und sich nicht einzumischen. Denn die Politik – so devalviert und schmutzig sich dieses Wort nun auch anhört, betrifft die gesamte Gesellschaft. Die Intellektuellen gehören auch dazu. Je mehr wir uns von den klugen Köpfen unter uns abgucken, je mehr wir nachdenken, was sie uns zu sagen haben, umso seltener werden wir uns von den nicht so klugen Politikerköpfen in die Irre führen lassen, wie aktuell bei der beabsichtigten Wahlrechtsreform.
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