Der 1. März gilt in Bulgarien traditionell als Frühlingsbeginn und ist der wohl lebensfreudigste Festtag der Bulgaren. Symbol des Festes sind die rot-weißen Quasten – Martenitzi genannt, mit denen man sich gegenseitig beschenkt. Sie sollen Gesundheit und Glück bescheren. Diese Tradition stammt noch aus thrakischer Zeit und hing mit den antiken Kulten in Verbindung mit der Landwirtschaft und der Natur zusammen.
Früher war es gang und gäbe, die Martenitzas aus roten und weißen Wollfäden selbst anzufertigen. In neuerer Zeit macht sich kaum ein Städter diese Arbeit und kauft sie an einem der zahlreichen Stände, wo die verschiedensten Ausführungen, vom streng traditionellen Look bis zum haarsträubenden Kunststoff-Kitsch, zu haben sind. Für alle Geschmäcker ist etwas dabei, selbst für solche, die neben Rot und Weiß auch andere Farben sehen wollen.
Werden die hiesigen Martenitzas jedoch nicht wie fast alles andere auch durch „Made in China“ ersetzt werden? Das Fest ist so und so schon stark kommerzialisiert und wo der Handel floriert versuchen sich stets auch die Chinesen einzukeilen. Fast ausnahmslos mit Erfolg, wohl bemerkt! Wenn man sich die überfüllten Stände anschaut, kommt schnell der Verdacht auf, das selbst dieses traditionsträchtige Symbol – das Markenzeichen des Bulgarentums sozusagen, zunehmend mehr von geschickten asiatischen Händen gefertigt wird. Schließlich sind die Chinesen in der ganzen Welt berühmt für ihre kunstreichen, in der Masse aber weniger gelungenen Imitationen. Martenitzas aus China sichern den Händlern höhere Gewinne...
Wir besuchten einige der vielen Verkaufsstände und erkundigten uns, welche Martenitzas bevorzugt werden und ob die Bulgaren auf die Herkunft der Ware Wert legen.
„Gefragt sind Martnitzas chinesischer Produktion und Kunststoff“, erzählt eine der Verkäuferinnen. „Leider ist das Interesse an Wolle und bulgarische Handarbeit eher gering. Man sucht die Massenware und diese wird auch angeboten, weil man sie schnell an den Mann bringt. Keinen interessiert's, ob es Handarbeit ist, oder nicht. Der Preis spielt keine Rolle, weil die chinesischen Produkte häufig zum gleichen Preis angeboten werden, wie die heimische Produktion, auch wenn der Import bedeutend billiger ist. Viele Leute kaufen gleich zehn Martenitzas zu 50 Eurocent, nur um der Tradition zu genügen und etwas zum verschenken zu haben, wenn sie selbst beschenkt werden. Es gibt aber auch Käufer, die auf die Traditionen Wert legen und die altbewährten Formen der rot-weißen Quasten kaufen.“
„Die Käufer bevorzugen häufiger die ausländischen, die billigen Martenitzas. Die einheimischen erscheinen ihnen zu teuer. Jeder wählt halt das aus, was ihm gefällt“, sagt eine andere Händlerin.
„Ich denke, dass der Markt mit Kitsch übersättigt ist“, erfahren wir an einem anderen Stand. „Die Martenitzas aus China werden die einheimischen aus echter Wolle aber nie verdrängen können. Mein Sohn beispielsweise will unbedingt immer die traditionellen Ausführungen und die handgestrickten Armbänder...“
Jetzt stellt sich die Frage, ob die jungen Bulgaren aber die alten Traditionen wirklich kennen? Im Gewimmel der Käufer erfuhren wir die verschiedensten Meinungen:
„Ich suche die traditionellen Ausführungen, also ohne die mit den vielen Glasperlen. Schließlich muss man den Martenitzas die bulgarische Tradition ansehen können. Sie müssen rot und weiß sein und aus Garn bestehen.“
„Ehrlich gesagt, schaue ich nicht nach, wo sie hergestellt wurden; ich würde aber den einheimischen den Vorzug geben. Ich habe soeben 5 bis 6 Martenitzas gekauft, weiß aber nicht, woher sie stammen. Ich bin Rentner, also kein reicher Mensch; ob ich nun aber 60 oder 70 Eurocent bezahle ist mir gleichgültig. Wichtig ist, dass mir die Martenitzas gefallen. Die Bulgaren meiner Generation kennen mit Sicherheit die Traditionen. Bei den jüngeren Generationen bin ich mir allerdings nicht so sicher – sie bevorzugen halt schrille Rapper wie Chrisko.“
Zwei Jugendliche behaupteten aber das Gegenteil:
„Es müssen von Hand gemachte bulgarische Martenitzas sein. Jene, beispielsweise mit den Comic-Helden, töten die Traditionen ab... Es ist besser, wenn die Martenitzas in Handarbeit entstanden sind. Meine Großmutter strickt noch Martenitzas und verkauft sie. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Mühe lohnt.“
„Es gab mal eine Großmutter, die Martenitzas machte – wahre Kunstwerke. Nun ist sie aber schon zu alt und strickt nur noch welche für die Enkel. Es gibt Leute, die ziehen es vor, weniger zu kaufen, dafür muss es schön und von Wert sein. Ich hoffe sehr, dass diese Tradition erhalten bleibt. Es gibt Bulgaren, die diese Tradition mit ins Ausland nehmen – den Ausländern gefällt dieser Brauch sehr. Leider sind die Überlieferungen nicht mehr in reiner Form erhalten. Erhalten ist nur das, was die älteren Menschen bewahrt haben. Der Martenitza-Brauch hängt stark mit der emotionalen Welt der Bulgaren zusammen...“
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
Fotos: BGNES
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