Mehr als 50 Prozent der psychiatrischen Anstalten, Abteilungen und Zentren in Bulgarien sind in einem kritischen Zustand. Das geht aus einem Bericht hervor, der von Gesundheitsminister Kiril Ananiew unlängst der Regierung vorgelegt wurde. Davon, dass sich die Psychiatrien in Bulgarien in einem desolaten Zustand befinden, ist seit Jahren die Rede. Das ist ein Sektor im Gesundheitswesen, wo keine Reformen stattgefunden haben, was oft von internationalen Institutionen und Medien beanstandet wird.
In Bulgarien existieren 12 staatliche psychiatrische Anstalten, 12 Zentren für psychische Gesundheit und 22 psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern. Ihre Kapazitäten sind fast zu 100 Prozent ausgelastet. Momentan arbeitet man an einer Strategie über die psychiatrische Behandlung in Bulgarien, die den europäischen Standards und Praktiken entsprechen soll. Dazu wurde eigens eine Arbeitsgruppe geschaffen, die in anderthalb Monaten mit einer Lösung aufwarten soll. Der Staat will dem Kadermangel in der Branche begegnen, indem er die Kosten für die Spezialausbildung in Psychiatrie übernimmt.
Ein Problem stellt aber nicht nur die total veraltete räumliche und technische Ausstattung der Psychiatrien dar. Hinzu kommt, dass viele von ihnen weit von den Wohnorten entfernt sind, was die Adaption der Patienten an das reale Leben nach der Behandlung erschwert.
Die größte psychiatrische Einrichtung im Raum Sofia, die Klinik „Hl. Iwan Rilski“, liegt ca. 25 km von der Hauptstadt entfernt. Dort werden jährlich 1.300 Patienten behandelt.
„Die staatlichen Psychiatrien liegen abseits, in der Peripherie der Wohnorte. Der Zugang zu ihnen ist schwer und begrenzt“, erläutert die Direktorin der Klinik Dr. Zweteslawa Galabowa. „Sie wurden in Zeiten eingerichtet, als das Hauptprinzip bei der Behandlung von Menschen mit psychischen Leiden auf ihre langfristige, nach Möglichkeit sogar lebenslängliche Isolation von der Gesellschaft fußte. Vor 30 Jahren haben sich die Standards bei der Behandlung von psychisch kranken Menschen allerdings geändert. Alle wissen, dass diese Patienten unweit von ihrem Wohnort behandelt werden sollten. So können sie nach der Entlassung aus der Klinik leichter in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren und wenn nötig auch zu Hause weiter therapiert werden.“
Die Gleichgültigkeit, mit der die Gesellschaft dem Leid dieser Menschen begegnet, wirkt sich sehr negativ auf die Behandlung aus, behauptet Dr. Galabowa.
„Diese Erkrankungen sind nicht ansteckend, aber die Gleichgültigkeit und die allgegenwärtige Meinung der Bulgaren, ihnen selbst könne so etwas nie widerfahren, führen zur negativen Einstellung gegenüber psychisch kranken Menschen, ihren Ärzten und allem, was mit diesem besonderen Zustand in Verbindung steht“, sagt Dr. Galabowa.
Gibt es ein allgemeingültiges Profil psychisch kranker Menschen?
“Ja, schon. Jeder sollte sich im Klaren sein, dass niemand davor gefeit ist, egal welchen Geschlechts oder Alters man ist, unabhängig vom gesellschaftlichen Status und Erfolg“, mahnt die Expertin.
Vor wenigen Tagen hat die Regierung beschlossen, zusätzliche 2 Millionen Lewa (ca. 1 Million Euro) in Form von Kapitalausgaben für Renovierungen zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung hat für unterschiedliche Reaktionen in der Gilde gesorgt. Hierzu die Meinung der Direktorin einer der größten Psychiatriekliniken in Bulgarien:
„Die Entscheidung an sich ist gut. Als jemand, der seit 25 Jahren in diesem System arbeitet und eine Wirtschaftsausbildung hat, bin ich allerdings der Ansicht, dass es keinen Sinn macht, Geld auszugeben, ohne vorher eine eingehende Analyse darüber angestellt zu haben, wo es investiert werden sollte und zwar auf der Grundlage eins langfristigen Programms für 10-15 Jahre. Es ist momentan so, als würde man den Wagen vor das Pferd spannen. Falls Krankenhäuser an abgelegenen Orten saniert werden sollen, die eher an Baracken erinnern, wäre der Nutzen gleich Null. Wir verfügen derzeit über 4.500 Betten für psychisch kranke Patienten, das macht 10 Prozent der aller Krankenbetten im Land aus. Zahlenmäßig reichen sie vollkommen aus. Das Manko ist, dass sie extrem ungleichmäßig verteilt sind. Geld in ein nicht reformiertes System zu schütten ist nicht die bestmögliche Lösung“, sagte Dr. Galabowa und schloss mit den Worten: „Ich möchte Ihren Hörern und Usern raten, Menschen mit psychischen Störungen mit mehr Toleranz zu begegnen – in ihrem Verhalten, ihren Äußerungen und ihrem Denken diesen Menschen gegenüber. Denn es könnte jeden treffen.“
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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