Nach der amtlichen Bekanntgabe der Wahlergebnisse und der Namen der Abgeordneten hat Staatspräsident Rumen Radew die erste Sitzung der 45. Volksversammlung auf den 15. April anberaumt. Dann werden die Parlamentsparteien zur Regierungsbildung übergehen müssen, die mit vielen Fragezeichen behaftet ist.
Die Parlamentsparteien werden nicht umhinkommen, eine Koalitionsregierung bilden zu müssen, falls sie Neuwahlen aus dem Weg gehen wollen. In dieser Beziehung ist die Entscheidung des Showmasters Slawi Trifonow sehr wichtig, dessen Partei „Es gibt ein solches Volk“ die zweitgrößte Parlamentsfraktion bildet. Laut dem Soziologen Julij Pawlow sei die Bildung einer Reform-Mehrheit aus den sogenannten Protest-Parteien möglich, da sie insgesamt über 90 Abgeordnete des 240-köpfigen Parlaments verfügen. Die unerfahrene Partei von Trifonow wird jedoch vor eine schwierige Wahl gestellt:
„Vor Trifonow eröffnen sich drei Möglichkeiten“, präzisiert Pawlow. „Die eine davon ist, vorgezogene Parlamentswahlen anzusteuern, was ihm die Analysten anraten, da er dann möglicherweise zur führenden politischen Kraft avancieren könnte. Es ist aber auch gut möglich, dass er sein Wahlergebnis zwar verbessert, aber dennoch nicht die GERB-Partei von Bojko Borissow schlagen, oder aber auch an Stimmen einbüßen kann. Die anderen beiden Varianten sind eine Regierungsbildung. Trifonow könnte mit den anderen Protest-Parteien verhandeln, um ein Koalitionskabinett zu bilden. Möglich wäre auch, eine selbständige Regierung aufzustellen.“
Eine ganz neuartige politische Realität nach den Wahlen sieht seinerseits der Abgeordnete aus den Reihen von „Demokratisches Bulgarien“ Dozent Dr. Welisar Schalamanow:
„Das Volk hat ganz deutlich für eine Veränderung gestimmt“, behauptet er. „Die Verantwortung haben nun viele neue Abgeordnete zu übernehmen, die die Stimme des Volkes richtig deuten und eine beste Lösung ansteuern müssen.“
Obwohl die GERB-Partei das fünfte Mal in Folge die Parlamentswahlen gewonnen hat, befindet sie sich in einer Art Zwangslage, die sie bereits 2013/14 erlebt hat. Damals wie heute lehnen die Parlamentsparteien eine Zusammenarbeit ab und wollen in Opposition bleiben.
Am Montag dieser Woche wurde klar, dass die GERB-Partei das Mandat zur Regierungsbildung nicht zurückgeben, sondern ihr von der Verfassung verbürgtes Recht nutzen und ein Kabinett vorschlagen werde – im Namen des ihr von den Wählern geschenkten Vertrauens, die ihr die meisten Stimmen gaben. Dieses Kabinett solle Kontinuität, aber auch Veränderung zeigen, kündigte Vizepremier Tomislaw Dontschew in einer Analyse der Wahlergebnisse an.
„Wir haben niemanden um Unterstützung gebeten“, äußerte Dontschew und betonte die Tatsache, dass die meisten politischen Kräfte bereits angekündigt hätten, mit wem sie im Namen einer Parlamentsmehrheit zusammenarbeiten würden. „Ja, wir sind mit unserem Vorschlag bereit und werden eine Regierung vorstellen, womit wir nicht nur ein politisches Zeichen geben wollen, sondern es wird sich um eine lebensfähige Regierung handeln.“
In Bezug auf mögliche vorgezogene Wahlen und eine Übergangsregierung, ernannt von Staatspräsident Rumen Radew, meinte Dontschew: „Der politische Revanchismus ist keine gute Technologie – er bringt der Gesellschaft nichts Gutes!“
Vorgezogene Wahlen dürfen uns nicht erschrecken, meint der Politologe Georgi Kirjakow.
„Die zusätzlichen Ausgaben für die Durchführung von Neuwahlen werden dem Haushalt nicht sonderlich schaden. Sie werden der Demokratie zum Nutzen sein“, sagte er dem BNR-Regionalsender in Plowdiw gegenüber.
Alle bisherigen Regierungsparteien sollten aus den Wahlen Lehren ziehen, ist der Zahnarzt Dr. Fikri Gülestan überzeugt. In einem Interview für den BNR-Regionalsender in Kardschali meinte er, dass mit dem Abrutschen der „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ vom zweiten auf den dritten Platz das Ende der Wende erfolgt sei und etwas Neues einsetze.
„Die Menschen, die für die „Bulgarische Sozialistische Partei“, die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ oder die GERB-Partei stimmen, wählen System-Parteien. In den vergangenen 4 Jahren sind jedoch neue Wähler hinzugekommen, die sich mit diesen Parteien nicht identifizieren können. Ich denke, dass gerade von ihnen der Anstoß zu Veränderungen kommen wird. Das wird jedoch, wie jeder Neubeginn, nicht so einfach vonstattengehen. 1990 begannen wir die Wende mit einem aufrichtigen Glauben an die Demokratie. Nach 30 Jahren hat sich jedoch herausgestellt, dass wir die Ärmsten in Europa sind und zu den unglücklichsten Völkern gehören. Irgendetwas ist schief gelaufen. Aus diesem Grund wird die nächste Generation, die sehr gut Europa und die Welt kennt, einen Neustart des Staates verlangen.“
Redaktion: Joan Kolev
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
Fotos: BGNES, BNR, ArchivDie Uneinigkeit schadet der Staatlichkeit. Die bulgarischen Wähler wollen Veränderungen, und es ist Aufgabe der Politiker, sie herbeizuführen - geplant, bewusst und mit Verstand. Wir leben in einer sehr dynamischen Zeit, wir leben in einer..
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