Legenden von Drachen und Feen, Sagen um Seen, Berggipfel und Klöster, Geschichten über außergewöhnliche menschliche Schicksale aus der jüngsten und fernen Vergangenheit, die uns das Leben wieder als Märchen betrachten lassen, in dem täglich Gut und Böse, Unternehmergeist und einfaches Dasein gegeneinander kämpfen. Ein Märchen, das man heute erleben kann. All das bietet das neuste populärwissenschaftliche Buch „Sagen und Legenden aus Bulgarien“ aus der Reihe „Großes Buch“ von Doz. Dr. Wesselka Tontschewa und Doz. Dr. Wichra Baewa. Beide beschäftigen sich seit mehr als 20 Jahren als Teil des Teams des Instituts für Ethnologie und Folkloristik der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften mit der Erforschung der Folklore. Nachdem sie vor drei Jahren alles Wichtige und Interessante über die bulgarischen Feiertage und Bräuche im „Großen Buch“ zusammengetragen hatten, war nun die Zeit für die mythischen Legenden und Sagen gekommen.
Mythen sind die ersten Geschichten, die weitergegeben werden und universelle Themen anschneiden, wie beispielsweise die Erschaffung der Welt, erklärt Dr. Wichra Baewa. Ihre „Nachfolger“ seien die Legenden, und Legenden beziehen sich auf bestimmte Orte, Personen oder Gegenstände, die in der umgebenden Landschaft eines Ortes verwurzelt sind. In unserer Tradition gibt es die sogenannten „dazwischenliegenden sagenhaften Überlieferungen“, die wiederum mit einem bestimmten Ort verbunden sind, aber ein magisches Element aufweisen - eine wundertätige Ikone oder ein Fabelwesen. Als Beispiel nennt sie die Legende vom Zaren Iwan Schischman, der hingerichtet wurde und an der Stelle, wo sein Blut getropft sei, wundersame Quellen zu fließen begannen.
Im Buch „Sagen und Legenden aus Bulgarien“ sind 110 Geschichten aus allen geografischen Gebieten des Landes enthalten. Einige davon schrieben die Folkloristinnen persönlich vor Ort auf. Neben typischen volkstümlichen Erzählungen, die aus ferner Vergangenheit stammen und von Fabelwesen berichten, gibt es auch solche, die mit der Gegenwart verschmelzen und uns der Vergangenheit näherbringen.
„Mich persönlich haben eine andere Art von Geschichten beeindruckt, die vielleicht weniger bekannt und relativ neu sind. In ihnen ist stets das gleiche Motiv verankert – sie handeln von einem armen Jungen, der als Waisenkind eine schwierige Kindheit gehabt hat, dem es aber dank seines Unternehmungsgeistes und Einfallsreichtums gelingt, reich zu werden, Wohlstand zu erlangen und eine angesehene Person in der Gesellschaft zu werden, dann Nächstenliebe zeigt und seinen Mitbürgern hilft. Es gibt mehrere solcher Persönlichkeiten aus verschiedenen Orten. Ich erinnere mich an die Geschichte von Krastju Schipkow aus Kasanlak, die diesem Folklore-Modell folgt.“
Sehr interessant ist auch die Geschichte des Dorfes namens „Sklave“ in der Nähe von Sandanski. Der Legende nach sei es der Geburtsort des Gladiators Spartakus und eine der lokalen Attraktionen sind die Gladiatorenspiele, die im Stadion während des Dorffestes Mitte Juni organisiert werden.
„Sagen und Legenden aus Bulgarien“ ist ein Buch für die ganze Familie, das sowohl für Kinder als auch für ihre Eltern interessant sein wird. Mit ihm ist beiden Autorinnen gelungen, eine virtuelle Reise durch Bulgarien und seine sagenumwobenen Orte anzubieten und Interesse zu wecken, diese Orte persönlich aufzusuchen. Deshalb sind die einzelnen Geschichten nach Regionen geordnet und nach jeder Geschichte wird eine kurze Information erteilt, wie man den entsprechenden Ort erreichen kann; unter ihnen sind interessante Felsen, Gipfel, Seen, Brunnen, Burgruinen, Kirchen und Klöster. Es sind ganz konkrete Orte mit ihrer teils mystischen Geschichte, die in der umgebenden Landschaft tief verwurzelt ist. Damit könne das Buch als eine Art Reiseführer für „Legenden-Tourismus“ betrachtet werden, so Dr. Wichra Baewa.
„Die Welt, in der wir leben, unterscheidet sich grundlegend von den Erzählungen. Dennoch scheint es mir, dass es einige uralte menschliche Werte gibt, die bis heute ihre Bedeutung nicht verloren haben. Sie stehen mit Güte und Mut sowie mit der Einsicht in Verbindung, sich mit seinem schweren Schicksal auseinanderzusetzten und nach einem Weg zu suchen, die Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Folklore gibt etliche positive Beispiele in dieser Richtung und man wird keinen Fehler begehen, wenn man sich ihr öfters zuwendet“, riet abschließend Doz. Dr. Wichra Baewa vom Institut für Ethnologie und Folkloristik der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften.
Zusammengestellt: Wessela Krastewa (nach einem Interview von Katja Wassilewa, Radio Sofia, BNR)
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