Nachdem das dritte Sondierungsmandat zur Regierungsbildung, das die BSP vom Präsidenten erhalten und als unerfüllt zurückgegeben hat, stehen in Bulgarien mit Sicherheit vorgezogene Parlamentswahlen an.
Mit Blick auf das dritte Mandat sagte der Politologe Antoni Galabow in einem Interview für das Bulgarische Nationale Fernsehen BNT: „Es wurde unterschiedlich benannt – als technisches, Krisenmandat usw., es stellte sich aber eher als ein giftiger Apfel für die politische Kraft heraus, die es erhalten hat.“
Zwei Fragen beschäftigen nun die Bulgaren: Die Zusammensetzung der neuen geschäftsführenden Regierung und wann die vorgezogenen Parlamentswahlen stattfinden werden. Die Antworten liegen in den Händen des Staatsoberhauptes.
In seiner kurzen Rede bei der Rückgabe des nicht erfüllten Mandats durch die BSP deutete Rumen Radew seine Pläne an, indem er der derzeitigen Volksversammlung riet, ihre Arbeit bis Ende dieser Woche abzuschließen. Deshalb ist heute wahrscheinlich der letzte Arbeitstag der 47. Volksversammlung, die ihre Arbeit fast acht Monate nach ihrer ersten Sitzung am 3. Dezember 2021 beendet. Das ist auch das erste bulgarische Parlament, das nach dem in der bulgarischen Geschichte ersten erfolgreichen Misstrauensvotum gegen die Regierung aufgelöst wird.
„Keine politische Kraft kann derzeit von vorgezogenen Wahlen profitieren, nicht einmal die Opposition“, sagte der Soziologe Julij Pawlow gegenüber dem BNR.
„Der große Gewinner ist der Präsident - er wird drei bis dreieinhalb Monate lang allein regieren. Angesichts der derzeitigen roten Linien ist es sehr wahrscheinlich, dass auch im nächsten Parlament keine Regierung gebildet werden kann. Dann wird der Präsident für weitere dreieinhalb Monate regieren“, meint Julij Pawlow.
Angesichts der sich abzeichnenden politischen Entwicklung fragen sich die Bürger, wer die Experten oder Politiker im neuen Ministerrat sein werden, die der Präsident in Zeiten schwerer Krisen mit der Führung des Landes betrauen wird.
Welches Profil sollte der geschäftsführende Premierminister haben, für den sich der Staatschef entscheiden sollte?
„Unter normalen Umständen sollte es nicht so wichtig sein, wer er ist, aber in diesem Fall wird von ihm erwartet, zahlreiche Herausforderungen zu meistern“, erklärte der politische Analyst Rossen Karadimow gegenüber BNT. „Deshalb sollte sein Profil das einer ausreichend autoritären Person sein, die bei den bulgarischen Bürgern Vertrauen erweckt, denen Krieg, Inflation und galoppierende Energiepreise extrem zu schaffen machen.“
„Die derzeitige Dreierkoalition - „Wir setzen die Veränderung fort“, BSP und „Demokratisches Bulgarien“ - steigt ohne Aktiva, aber mit etlichen Passiva aus der Macht“, resümiert der Sozialanthropologe Haralan Alexandrow. „Die Aktiva sind wahrscheinlich für die verborgenen Akteure, von denen wir noch erfahren werden wer sie sind, die aus diesem Missmanagement Kapital geschlagen haben. Es
steht eine Schlacht bevor, bei der es um die Umverteilung von Schuld und nicht um die Umverteilung von Aktiva gehen wird. Es ist ziemlich sicher, dass jeder der Beteiligten den anderen die Schuld zuschieben wird“, sagte Haralan Alexandrow in einem Interview für den BNR.
In seiner Analyse des politischen Geschehens sagte er, dass „die beiden populistischen Projekte „Wir setzen die Veränderung fort“ und „Es gibt ein solches Volk“ bei dem Versuch gescheitert sind, mit ihren politischen Gegnern fertig zu werden und ihr Kampf untereinander ist selbstzerstörerisch“.
„Das Einzige, was die Partner der Dreierkoalition konsolidieren kann, ist die Konstruktion eines gemeinsamen Feindes. Und das werden mit Sicherheit die Opposition, der Präsident und jeder andere sein, der ihnen nicht nach dem Wort redet und sich eine kritische Meinung erlaubt. ... Das ist eine sektenähnliche Kultur, die durch die ständige Produktion eines externen Feindes und dessen Benennung und Stigmatisierung existiert. Eine Kultur, die sich selbst zum Scheitern verurteilt“, so Haralan Alexandrow.
Auch der Soziologe Parwan Simeonow ist skeptisch, dass irgendeine der politischen Formationen in der gegenwärtigen Lage etwas Positives finden und Nutzen daraus ziehen könnte.
„Das Land befindet sich in einem Zustand, in dem niemand weder in der Lage noch gewillt zu sein scheint, die Führungsverantwortung im schwierigen Herbst und Winter zu übernehmen, die uns bevorstehen. Das nennt man politisches Versagen und es ist eine sehr ernste nationale Diagnose“, so Parwan Simeonow.
Die Opposition ist in einer guten Kondition, meint Alexandrow und rechnet damit, dass die derzeitigen Oppositionskräfte (GERB, DPS und „Wasraschdane“) bei den vorgezogenen Wahlen gut abschneiden werden. Das werde die politische Lage ändern, aber es werde keine Dominanz der GERB geben.
„Die Bulgaren haben drei Mal ihren Willen für ein Mandat zum Austausch des sogenannten „GERB-DPS-Modells“ bekräftigt, das mit der Regierung des Landes im letzten Jahrzehnt in Verbindung gebracht wird“, erinnert Parwan Simonow. „Es wurde an verschiedene Parteien vergeben, womit noch offensichtlicher wurde, dass die Wähler eine Fortsetzung der Bemühungen wollen, die 2020 begonnen haben. Dies war der Grund, warum sich fast unvereinbare politische
Subjekte zusammengetan haben, wie „Demokratisches Bulgarien“ und die BSP. Ich habe den Eindruck, dass die Politiker diese Chance nun verspielen, da die Situation nach Neuwahlen unvorhersehbar bleibt.“
Zusammengestellt von Joan Kolew
Foto: BGNES, Ani Petrowa, bTV
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