Wer welchen Namen für sein neugeborenes Kind wählt, betrifft nicht nur die Familie selbst, sondern auch unsere Gesellschaft als Ganzes, denn das Namenssystem ist Teil unserer Kultur und Traditionen.
Die Traditionen wurden bei der Namensgebung früher von der patriarchalen bulgarischen Gesellschaft strikt befolgt. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass das erste Kind, wenn es ein Junge war, nach dem Großvater väterlicherseits genannt wird. War es ein Mädchen, wurde die Großmutter, ebenfalls väterlicherseits, bedacht. Wenn das Kind am Fest eines Heiligen das Licht der Welt erblickte, wurde es nach dem entsprechenden Heiligen genannt. Dem neugeborenen Kind den Namen eines verstorbenen Verwandten zu gegeben, wurde strikt gemieden, es sei denn, derjenige ist sehr jung verstorben.
Die traditionellen bulgarischen Namen sind slawischen oder protobulgarischen Ursprungs sowie solche, die mit der christlichen Religion zusammenhängen. Die Globalisierung hat aber diese alten Regeln der Namensgebung auf den Kopf gestellt.
„In der heutigen Zeit sieht das Bild ganz anders aus“, bestätigt Prof. Anna Tcholewa-Dimitrowa vom Bulgarischen Sprachinstitut an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. „Zu berücksichtigen ist auch die demografische Krise. In den Familien kommt es immer öfter vor, dass nur ein Kind geboren wird. Nach wem soll man es nennen, um nicht die anderen Verwandten zu beleidigen? Hinzu kommt, dass Bulgarien in Europa an erster Stelle steht, was das Zusammenleben ohne Trauschein angeht. So fühlen sich die jungen Eltern nicht an die Traditionen gebunden und frönen anderen Modeerscheinungen, die die alten Regeln der Fortführung des Familiennamens verdrängen. Hinzu kommt, dass viele Bulgaren im Ausland leben und sich an die dort etablierten Normen und Einflüsse halten“, sagt die Wissenschaftlerin und stellt klar, was die Forschung der letzten Jahre ergeben hat.
Zwischen 20 % und 30 % halten sich an die Traditionen in unserem Land. Zwischen 30 % und 40 % der Neugeborenen erhalten aber ausländische Namen. Am meisten verbreitet sei die Tendenz, für bulgarische Namen die entsprechende ausländische Form zu suchen. So wird aus Christo Christian, aus Todor Teodor. Nikolina verwandelt sich in Nicol, Stefka in Stefani. Aus Dobrinka wird Dolores… Zur gleichen Zeit kommen ältere Varianten der Namen in Mode, wie beispielsweise Joan und Joanna statt Iwan und Iwanka. Es gebe kaum junge Menschen, die Verkleinerungsformen von Namen tragen wie beispielsweise Tontcho, Genko, Jordanka, Sijka. Gleichzeitig wurden einige der bis Ende des 20. Jahrhunderts beliebten weiblichen Namen wie Maria, Elena oder Borjana von den ausländischen Namen Nicole, Sofia, Alexandra und Gabriela verdrängt. Wenn es aber um den männlichen Nachwuchs geht, entscheiden sich die Bulgaren nach wie vor für die Tradition und wählen einen bulgarischen Namen, obwohl es auch hier Modeerscheinungen gibt wie zum Beispiel den Namen eines bulgarischen Herrschers zu geben wie Kalojan, Iwan-Alexander, Boris und andere.
Die Namensfindung hat inzwischen unvorhersehbare Höhen erreicht…„Bei weiblichen Personennamen ist die Kreativität weitaus größer“, bestätigt Prof. Tscholewa-Dimitrowa. Inzwischen seien Namen wie Kristijandra, Oda, Milosara, Dewajla und ähnliche entstanden. „Nur die Eltern wissen, was sie sich dabei gedacht haben. Es können die Anfangsbuchstaben der Namen der Großmutter oder des Großvaters sein oder eine Zusammensetzung zweier Namen. Zum Beispiel Dejamira oder Emima. Solche seltsamen Namen hat es schon immer gegeben“, sagt die Forscherin und fügt hinzu, dass es insbesondere in unserer Zeit modern ist, in der die Familien immer weniger Kinder haben und für ihr Kind einen unverwechselbaren Namen finden wollen.
Eine weitere Tendenz sei, den Namen so kurz wie möglich zu halten. Beispiele dafür seien Teja, Nija, Mja. Ein sehr beliebter Name sei zum Beispiel Aja und es soll sogar einen Namen aus nur dem letzten Buchstaben vom bulgarischen Alphabet geben – Я (Anm. d. Red.: auf Deutsch ausgesprochen wie Ja).
Übersetzung: Georgetta Janewa
Fotos: Pixabay, Pexels
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