Nach der ersten Runde der Kommunalwahlen in Bulgarien am 29. Oktober stehen nur die Bürgermeister von 8 Bezirksstädten fest. In den restlichen 19 Bezirksstädten, einschließlich der drei größten - Sofia, Plowdiw und Warna – wird es am 5. November Stichwahlen geben. Obwohl die lokale Verwaltung diejenige ist, an die sich die Menschen Bürger direkt wenden können, damit Probleme gelöst werden, war die Wahlbeteiligung in der ersten Wahlrunde nicht hoch (44,94 Prozent). In der 2-Millionen-Stadt Sofia beispielsweise haben am Sonntag fast 378.000 Wähler den Gang zu den Wahlurnen gemacht - eine Zahl, die in etwa der Menschen entspricht, die in einem einzigen großen Sofioter Wohnviertel leben.
Gleich zu Beginn des Wahlkampfs für das Amt des Sofioter Bürgermeisters wurde deutlich, dass es zu einem schwer vorhersehbaren Kampf um den Bürgermeistersessel zwischen Personen kommen wird, die neu in der Politik sind. Die meisten der 22 Kandidaten, die für die erste Runde in der Hauptstadt nominiert wurden, waren Vertreter aus der Wirtschaft, aus Medien- und Musikkreisen, dem NRO-Sektor und sogar aus Gewerkschaften.
Vor allem aktive Wähler mit höherer Bildung und höherem sozialem Status haben in der ersten Runde ihre Stimme abgegeben und de facto bestimmt, wer in Sofia zu den Stichwahlen antreten wird. Das sagte die Soziologin Janiza Petkowa von der Meinungsforschungsagentur „Gallup International“ gegenüber BNR und weiter:
„Auffallend ist, dass Menschen im aktiven Alter zwischen 30 und 60 Jahren zur Wahl gegangen sind. Es ist auch offensichtlich, dass Bürger, die regelmäßig an Parlamentswahlen teilnehmen, es dieses Mal vorgezogen haben, zu Hause zu bleiben. Und 75 Prozent derjenigen, die bei den Bürgermeisterwahlen in Sofia abgestimmt haben, haben eine Hochschulbildung.“
Die Soziologen schließen nicht die Möglichkeit aus, dass die Menschen strategisch wählen, d. h. nicht für den Kandidaten stimmen, den sie mögen, sondern gegen jenen Kandidaten, den sie auf keinen Fall als Bürgermeister haben wollen.
Eine kurze Umfrage des Bulgarischen Nationalen Rundfunks gibt ebenfalls Einblicke in die Denkweise der aktiven Stadtbewohner, denen die Verwaltung Sofias nicht egal ist.
„Ich glaube nicht, dass alle Schurken sind, wie wir in Bulgarien oft zu sagen pflegen“, sagte Dimitar Kenarow, ein bekannter Journalist und Schriftsteller, der in Sofia lebt:
„Ich denke, noch wichtiger als die Politik ist, was wir auf lokaler Ebene tun, im eigenen Garten, in der Gemeinschaft, in der wir leben. Besorgniserregend ist, dass es uns an einem Sinn für Gemeinschaft, für den gemeinsamen Raum fehlt und das schon seit langer Zeit. Wir müssen sozialer werden. Den Schwächeren in einer Gesellschaft sollte immer geholfen werden. Unser Handeln sollte nicht von Marktmechanismen und Konsum bestimmt werden. Die andere Sache, die wir ändern müssen, ist unsere Haltung unserer eigenen Arbeit gegenüber. Wir sind zuweilen ein bisschen faul, und das zeigt sich in allen Bereichen“, so Dimitar Kenarow.
"Früher haben wir gesagt: Ein guter Bürgermeisterkandidat ist eine Person mit Qualitäten. Er sollte aus dem jeweiligen Ort stammen, rechtschaffen und berühmt sein. Einheimisch zu sein ist heute nicht mehr so wichtig, weil Leute von außerhalb Lösungen für die Probleme der Stadt, in die sie kommen, anbieten können. Aber es ist wichtig, rechtschaffen und berühmt zu sein, weil Anerkennung, wie wir Soziologen sagen, auch eine Funktion der Popularität ist. Die Menschen, die uns regieren, sollten auf das Gemeinwohl bedacht sein und mehr geben als nehmen. Das Problem jetzt ist, dass wir eine Elite haben, die uns zehrt“, sagte Wjara Gantschewa, Soziologin von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften und Dozentin an der Sofioter Universität „Heiliger Kliment von Ochrid“.
Nach Ansicht von Prof. Budin Michow, der für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Chemie und Medizin bekannt ist, ist ein Wissenschaftler in der Politik fehl am Platz. Ein echter Wissenschaftler strebt nicht nach Ruhm, meint der Professor, sondern es ist Aufgabe der Regierenden, gute Arbeitsbedingungen und Vertrauen für diejenigen zu schaffen, die sich der Wissenschaft verschrieben haben, damit die Wissenschaft einen Beitrag zu unserer Gesellschaft leistet:
„Im Prinzip muss die Veränderung von den Bulgaren selbst kommen. Sie müssen mehr Selbstvertrauen haben und wissen, dass alles von ihnen selbst abhängt, sie dürfen sich nicht täuschen lassen und sie sollten aufhören, die ihnen eigene Naivität an den Tag zu legen. Die Bulgaren müssen aktiver werden und anfangen, die wichtigen Entscheidungen selbst zu treffen“, rät Prof. Budin Michow.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Pexels, Gallup International, Facebook / Dimitar Kenarow, BGNES, Gergana MantschewaEine weitere vorgezogene Wahl liegt nun hinter uns, aber abgesehen von der leicht gestiegenen Wahlbeteiligung im Vergleich zur Abstimmung im Juni dieses Jahres ist es immer noch schwierig, die politischen Konfigurationen vorherzusagen, die eine Chance..
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