In Zeiten von militärischen Konflikten, getrennten Familien, zerstörten Häusern und ungewisser Zukunft blicken wir heute in die Vergangenheit, um uns zu erinnern. Vor genau 104 Jahren, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, verlor Bulgarien durch den Vertrag von Neuilly 1919 kampflos 1.545 Quadratkilometer seines Territoriums. Zwischen dem 6. und 8. November 1920 besetzten serbische Truppen die Gebiete um Zaribrod (heute Dimitrovgrad), Bosilegrad und Strumica. 25 Dörfer und ein Teil des Territoriums um die bulgarischen Städte Tran und Kula wurden von der so genannten „schwarzen Grenze“ durchschnitten und verblieben innerhalb der Grenzen des heutigen Serbiens.
Häuser, Höfe, Felder, Quellen, Brunnen, Friedhöfe, Kirchen, Straßen und Familien wurden buchstäblich getrennt. Das Schicksal von 64.509 Menschen wurde von Grund auf erschüttert. Zum Gedenken an die Ereignisse vor einem Jahrhundert wurde der 8. November zum Tag der Ehemaligen Bulgarischen Westgebiete erklärt.
Heute leben in Serbien mehr als 18.500 Menschen, die sich als Bulgaren identifizieren (laut einer 2011 durchgeführten Volkszählung).
Die Menschen dort haben einen langen Weg zurückgelegt, aber auch viele Schwierigkeiten bestimmen ihr Leben. Eines ist jedoch sicher - der bulgarische Geist ist lebendig. Unsere Volksmusik klingt in den Herzen der Bulgaren in den Ehemaligen Bulgarischen Westgebieten und spricht heute ihre Sprache. Davon konnten wir uns erneut vor wenigen Tagen überzeugen, als das Volksmusikorchesters von Dimitrovgrad (früher Zaribrod) auf Einladung des Bulgarischen Nationalen Rundfunks sein erstes Konzert in Sofia gab.
Das Orchester setzt sich aus Amateuren zusammen, die sich der alten Stadt- und Volksmusik aus Bulgarien und Serbien gewidmet haben.
„Alexander Wassow und ich sind schon unser ganzes Leben lang sehr eng befreundet. Als wir beschlossen, das Orchester zu gründen, wollten wir die Werte, Traditionen und die Kultur der bulgarischen Minderheit erhalten und pflegen. Und alte Volkslieder zu spielen, die fast niemand mehr spielt“, sagte Dragoljub Pejtschew, Gitarrist des Orchesters und Tontechniker im Radio- und Fernsehzentrum „Zaribrod“, gegenüber „Radio Bulgarien“.
„Die Ehemaligen Bulgarischen Westgebiete sind etwas heruntergekommen, aber sobald wir anfangen zu spielen, kommt unser nationaler Geist zum Vorschein, und das ist eine unglaubliche Inspiration für uns“, fügte Aleksandar Wassow hinzu, der Hirtenflöte und Tambura spielt, die in Serbien als Bisernica bekannt ist. Er ist auch die Stimme des Zaribrod-Orchesters. In seiner Arbeitszeit ist er Tierarzt und Besitzer einer Tierfarm.
Die Möglichkeit, mit der Volkskunst unterschiedlicher Balkanländer in Berührung zu kommen, bezeichnet er als Reichtum, aber er weigert sich entschieden, sich als Minderheit in Serbien zu bezeichnen.
„Ich mag es nicht, mich als Minderheit zu bezeichnen, denn ich fühle mich nicht von meiner Nation abgekoppelt“, sagte Alexander Wassow.
Das Datum 8. November trägt den Schmerz der Vergangenheit in sich, der in den Ehemaligen Bulgarischen Westgebieten bis heute anhält.
„Für mich ist es eine traurige Erinnerung an eine Trennung“, fährt Dragoljub Pejtschew fort. „Niemand wollte das, aber es ist passiert. Genau deshalb nennt man uns heute eine Minderheit und ich möchte sagen, dass ich mich nicht als Minderheit fühle. Ich bin Bulgare. Ob ich in der Nähe der Grenze oder hinter der Grenze lebe, ist eine andere Sache. Dieser Tag sollte respektiert werden. Die Menschen sollten sich daran erinnern und das Bulgarische in sich wahren.“
Die Verteidigung der bulgarischen Identität in den Ehemaligen Bulgarischen Westgebieten ist angesichts der zunehmenden Entvölkerung der beiden bulgarischen Zentren Bosilegrad und Dimitrograd (früher Zaribrod) weiterhin eine schwierige Aufgabe. In Ermangelung einer sicheren Lebensgrundlage verlassen unsere Landsleute die Region auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Jeden Tag fahren fast 1.000 Menschen nach Sofia, Kostinbrod, Godech, Dragoman und in andere Städte und Dörfer in Bulgarien, um dort zu arbeiten und die jungen Leute gehen weg, erzählte uns Dragoljub Pejtschew.
„Das ist vielleicht das Schicksal der kleinen Orte an der Grenze. Ich glaube nicht, dass sich die Lage verbessern wird, obwohl ich es möchte“, sagte resigniert Dragoljub Pejtschew.
Alexander Wasow hofft voller Zuversicht, dass in absehbarer Zeit der Grenzübertritt für Bulgaren aus den Grenzregionen erleichtert wird und die Kommunikation zwischen uns einfacher wird. Und während wir darauf warten, dass die Politik Ergebnisse liefert, bleibt uns die Musik als Sprache, die sowohl Serben als auch Bulgaren am leichtesten verstehen.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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