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Dozentin Natalia Raschkowa: Die Globalisierung weckt zusätzliches Interesse an Identitäten

Der Folklore ist eine emotionale Stütze, die sich am deutlichsten in Migrationsprozessen zeigt, erinnert die Ethnomusikologin.

Foto: Facebook /Georgi Panayotov

„Der Folklore ist ein menschliches Bedürfnis – und dieses Bedürfnis wird wohl nicht so schnell verschwinden“, ist Doz. Dr. Natalia Raschkowa überzeugt – Ethnologin und Folkloristin, Universitätsdozentin und Forscherin mit bedeutendem Beitrag zur Erforschung der bulgarischen Musikfolklore und ihrer Migration in Ungarn und der Slowakei.

Anlässlich ihres 70. Geburtstags veranstalten das Institut für Ethnologie und Folkloristik mit Ethnografischem Museum an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften sowie der Verein „ Neposnatite – Plowdiw“ (die Unbekannte - Plowdiw) eine wissenschaftliche Konferenz unter dem Titel: „Felder und Richtungen. Ethnomusikologische, folkloristische und anthropologische Dimensionen und Perspektiven“. Die zweitägige Veranstaltung findet am 16. und 17. Oktober im Gebäude des Instituts statt, mit Teilnehmern aus Polen, Deutschland, Rumänien, Kasachstan und den USA.


„Das zentrale Thema der Ethnologie war stets der Mensch und seine Gemeinschaften“, erklärt Doz. Raschkowa im Interview mit dem Bulgarischen Nationalen Rundfunk und fügt hinzu, dass die Globalisierung in der heutigen Welt das Interesse an Identitäten zusätzlich verstärke:


„Denn Identitäten sind nicht nur ein Weg, Menschen kennenzulernen, sondern auch Konflikte zu überwinden, die aus Unverständnis zwischen Menschen, Kulturen und Lebensweisen entstehen. Dieses gegenseitige Kennenlernen – besonders durch Musik, Tänze, Bräuche und Rituale – kann zu einem harmonischeren Leben führen und das Dasein in einer technologisierten Welt erleichtern, in der der Mensch innerlich zu veröden droht. Gerade deshalb wächst das Bedürfnis nach Emotionen, Ausdruck und menschlicher Verbindung.“

Nach den Worten von Natalia Raschkowa sei der Folklore eine besonders starke emotionale Stütze, die sich vor allem im Zusammenhang mit Migrationen zeige:

„Wenn Menschen ihr Land verlassen und emigrieren, entsteht eine viel engere Verbindung zu ihrer Heimat durch die Volkskultur. Das sehen wir bei den zahlreichen Aktivitäten der Auslandbulgaren in letzter Zeit – in Tanzgruppen, bei Folklorefesten oder beim Bewahren der Traditionen. Menschen, die sich früher kaum für Folklore oder Geschichte interessiert haben, beginnen in der Fremde, diese Werte als etwas sehr Persönliches zu begreifen – und bewahren so ihre Identität als Bulgaren.


Mitunter gehen diese Bindungen zur Folklore sogar über die Erwartungen der Ethnologen hinaus, erinnert sich Raschkowa an eines ihrer früheren Feldforschungsprojekte:

„Es war sehr interessant, gemeinsam mit Kollegen in der Slowakei Menschen zu befragen, die in Bulgarien gelebt hatten und in den 1950er-Jahren in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Wir stellten fest, dass sie ihre Gemeinschaft gerade dadurch bewahrt hatten, weil sie mit beiden Kulturen verbunden blieben. Selbst in der Slowakei fühlten sie sich zum Teil fremd – aber mit Bulgarien eng verbunden. Sie reisten häufig hierher, gründeten eigene Klubs und feierten bulgarische Feste. Das zeigt, wie stark die Zugehörigkeit zu dem ist, was die Menschen innerlich tragen.“

Zum wachsenden Interesse von Ausländern an bulgarischen Volkstänzen sowie zur kürzlichen Aufnahme des bulgarischen Gartenbaus in Ungarn in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO erläutert Raschkowa:


„Das bulgarische Gartenbauwesen wurde in die Liste des immateriellen Kulturerbes Ungarns aufgenommen – ein besonders interessanter Umstand, da ein Land damit die Kultur einer seiner Minderheiten anerkennt. Gemeinsam mit Kollegen haben wir die dortigen bulgarischen Gärtner jahrelang erforscht und ein umfangreiches Archiv mit Studien und Publikationen zusammengetragen. Bemerkenswert ist, dass die traditionelle Folklore, wie wir sie kennen, bei ihnen weniger ausgeprägt war, da sie aus Nordbulgarien stammen, wo die Modernisierung früher einsetzte. Dennoch pflegten sie in Ungarn ihre kulturellen Institutionen gerade durch die Volkskultur – und das tun sie bis heute. Es gibt dort drei Tanzensembles, an denen inzwischen auch Ungarn teilnehmen. Das Interesse an bulgarischer Folklore reicht jedoch viel weiter zurück: Schon in den 1980er- und 1990er-Jahren kamen viele ausländische Forscher – etwa aus Österreich und den USA – für Feldstudien über die Schopska-Polyphonie aus dem Dorf Bistriza. Ich denke, dieses Interesse ist bis heute ungebrochen.“


Während das Interesse anderer Völker an der bulgarischen Folklore nichts Neues ist, eröffnen sich in der bulgarischen Musikfolkloristik in den letzten Jahren neue Forschungsfelder:

„Ich beobachte, dass viele junge Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen sich wieder für den traditionellen Folklore interessieren. Sie sammeln und rekonstruieren seltene lokale Lieder und Tänze, und Volksliedsänger lernen den Stil des alten Gesangs – etwas, das zunehmend geschätzt wird. Es ist interessant: Nach einer Phase stark modernisierter Interpretationen kehrt der Folklore wieder zu seinen Wurzeln zurück – eine Entwicklung, die ich als sehr zukunftsträchtig sehe. Das Interesse wird also nicht verschwinden, sondern sich verwandeln und neue Ausdrucksformen finden. Der Folklore ist ein menschliches Bedürfnis – und dieses Bedürfnis wird nicht so leicht vergehen. Das ist eine gute Perspektive.“


Autorin: Dessislawa Schapkarowa

Übersetzt und veröffentlicht von Lyubomir Kolarov

Fotos:Facebook /Georgi Panayotov, researchgate.net, Die Gesellschaft der Bulgaren in Ungarn, Facebook /Nina Varbanova



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