Sendung auf Deutsch
Textgröße
Bulgarischer Nationaler Rundfunk © 2025 Alle Rechte vorbehalten

NGOs und staatliche Behörden wollen Zahl der bettelnden Kinder auf den Sofioter Straßen verringern

Foto: BGNES
Eine belebte Straße in Sofia, der nicht enden wollende Sofioter Stau nach Feierabend, die Blechlawine wartet auf grün, um endlich anzurollen. Eine junge Frau schlängelt zwischen den Autos, klopft an die Autoscheiben. Im linken Arm hält sie ein Baby, in der rechten Hand – einen Plastikbecher mit Kleingeld. Dieser Anblick ruft verschiedene Reaktionen bei den Autofahrern hervor. Von Verärgerung bis zum Mitleid. Die einen fragen sich: Was soll diese Frau mitten im Autoverkehr? Dazu hält sie noch ihr Baby im Arm und es atmet die giftigen Abgase ein. Die anderen geben ihr schweigend Kleingeld und fahren los. Bettelnde Kinder gehören leider zum Straßenbild in Sofia und in den anderen Großstädten des Landes – in eisiger Kälte und bei glühender Hitze. Wie gehen Nichtregierungsorganisationen und staatliche Behörden mit diesem Thema um?

Wenn man ganz trocken an das Thema herangeht, dann muss man eingangs sagen, dass die Mutter in diesem Fall mit 1500 Euro Bußgeld geahndet werden muss. Wenn sie aber schon betteln geht, ist es offensichtlich, dass sie dieses Geld nicht hat. Der geschilderte Fall ist kein Einzelfall. Und dennoch ist in letzter Zeit die Zahl bettelnder Kinder in Unterführungen, an Straßenkreuzungen und in den Parks von Sofia deutlich zurückgegangen. Vielleicht ist das das Ergebnis eines großangelegten Sozialprojekts der Sofioter Gemeinde und der Kinderschutzagentur. Daran schlossen sich auch eine Reihe Nichtregierungsorganisationen. Vor knapp einem Jahr wurden annähernd 500 Bettler in Sofia registriert, die Hälfte davon Kinder. Das kleinste unter ihnen war gerade mal 3 Jahre jung. Jeder Fall ist kompliziert und anders für sich. Manche Kinder gehören einer größeren Gruppe an, die von Erwachsenen organisiert wurde und die mit den bettelnden Kindern ein ganz profitables Geschäft hatten. In der Regel handelt es sich um Roma, die nicht unbedingt in der Hauptstadt wohnen. Nicht wenige sind die Fälle von Kindern, deren Eltern alkohol- oder drogensüchtig sind und ihre eigenen Kinder auf die Straße schicken. In solchen Fällen sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren oder Bußgeld in Höhe von bis zu 1500 Euro vor. Solche Verstöße sind jedoch sehr schwierig nachzuweisen. Die Menschenrechtler weisen aber auch auf ein anderes Problem hin:

"Die Einstellung der Öffentlichkeit ist sehr wichtig", sagt Mariana Pissarska vom Kinder- und Jugendschutzverein. "Deshalb verteilen wir Faltblätter, informieren ausführlich über die Probleme und die Folgen der Bettlerei. Wenn man aus Mitleid einem bettelnden Kind Geld gibt, dann gibt man eigentlich das Geld an seine Quäler, die es auf die Straße geschickt haben. Diese Art von Kindermisshandlung ist strafbar, aber auch sehr gewinnbringend. Es ist eine Gradwanderung, wie man die Menschen sensibel hält, ohne dass sie den bettelnden Kinder Geld geben", sagt Mariana Pissarska.

Auf Sofias Straßen sieht man immer mehr freiwillige Helfer des Sozialprojekts gegen die Bettlerei von Kindern. Adelina Iwanowa ist eine davon:
"Wir sind inzwischen soweit, dass wir das Problem erfasst haben und nun die Unterstützung aus der Öffentlichkeit brauchen", sagt Adelina. "Wenn man den Kindern Geld gibt, dann regt man sie dazu an, es wieder und wieder zu tun. Viele der Kinder werden gezwungen, betteln zu gehen. Die Passanten wissen es aber nicht. Wenn man einem bettelnden Kind Geld gibt, beruhigt man sich selbst, etwas Gutes getan zu haben. Dabei ist es falsch. Dieses Geld geht meistens an die Eltern oder die Drahtzieher weiter und wird für Alkohol und Drogen ausgegeben", berichtet die Streetworkerin Adelina.

Das Problem mit den bettelnden Kindern in den Großstädten Bulgariens ist umfangreich und erfordert deshalb umfangreiche Maßnahmen. Davon ist auch Uljana Mateewa vom Kinder- und Jugendschutzverein überzeugt. Gefordert sind die staatlichen Behörden, die immer noch kein durchgreifendes Programm haben. Die Sozialarbeiter machen die bettelnden Kinder ausfindig, die Polizei stellt die Personalien fest und schickt die Kinder in Tageszentren, von wo sie eines Tages wieder frei kommen und erneut auf der Straße landen. So beschreibt Uljana Mateewa den Teufelskreis. Deshalb fordert sie:

"Jeder Fall ist ein Einzelfall und deshalb muss man individuell herangehen", sagt Mateewa. "Wir haben seit etwa einem Jahr mit rund 20 Familien gearbeitet. In zehn dieser Familien gehen Kinder alleinerziehender Mütter betteln, weil sie in erbärmlicher finanzieller Lage sind. Für diese Kinder war die Armut der einzige Grund, auf die Straße zu gehen. Sechs dieser Mütter konnten wir helfen, einen Job zu finden, und ihre Kinder gehen nicht mehr betteln. Ob es so gut weiter laufen wird, weiß ich nicht, denn sie haben keine eigene Wohnung. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Politik ganz konkrete Schritte unternehmen muss, um solchen Familien zu helfen", fordert Uljana Mateewa vom Kinder- und Jugendschutzverein in Sofia.

Parallel dazu arbeitet der Verein auch daran, dass solche Kinder in Familien aufgenommen werden, wo sie halbwegs normal aufwachsen können, solange die Mutter eine feste Arbeitsstelle findet und ihr Kind wieder zu sich nehmen kann.

Redaktion: Vessela Vladkova
По публикацията работи: Diana Hristakiewa


Последвайте ни и в Google News Showcase, за да научите най-важното от деня!

mehr aus dieser Rubrik…

Bulgarische Intellektuelle und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stellten sich hinter das ukrainische Volk

Dutzende von renommierten bulgarischen Wissenschaftlern, Lehrern, Schriftstellern, Künstlern, Journalisten, Rechtsanwälten, Ärzten und Architekten haben sich in einem offenen Brief an Präsident Rumen Radeв, Parlamentspräsidentin Natalia Kisselowa und..

veröffentlicht am 06.03.25 um 12:12

Arbeit in kleinen Medien besonders schwierig laut Europarat

Die Arbeit von Journalisten kleinerer Medien in Bulgarien sei besonders schwierig, heißt es in dem in Brüssel vorgestellten Jahresbericht des Europarats. Im Bericht wird festgestellt, dass Regionaljournalisten in Ländern im mittleren und östlichen Teil..

veröffentlicht am 05.03.25 um 16:28

„Grüne Bewegung“ fordert Schutz von Bienen vor gefährlichen Chemikalien

Die Partei „Grüne Bewegung“ fordert die Regierung und das Landwirtschaftsministerium auf, sich an EU-Recht, wissenschaftliche Erkenntnisse und die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger zu halten und nicht an den Druck der Unternehmen. „Das Urteil des..

veröffentlicht am 04.03.25 um 15:29