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Europawahl nach bulgarischer Art

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Kein Rück ins Rechtsextreme, niedrige Wahlbeteiligung und ein Test für die Regierung – so lässt sich der gestrige Wahltag für das Europaparlament zusammenfassen. Erwartungsgemäß hat der Ausgang der EU-Wahl in Bulgarien die Innenpolitik geprägt und weniger die Zukunft Europas. Nach der erdrutschartigen Niederlage der regierenden Sozialisten haben vorgezogene Parlamentswahlen noch mehr an Aktualität gewonnen.

Als erster sprach das Thema der Vorsitzende der oppositionellen bürgerlichen GERB-Partei, Bojko Borissow, die als Sieger der gestrigen Wahl hervorgegangen ist. „Ministerpräsident Orescharski und Parlamentspräsident Mikow sollen ihre Posten räumen, denn sie haben keine Unterstützung mehr. Mit dem heutigen Erfolg haben wir vorgezogene Parlamentswahlen herbeigeführt“, kommentierte Borissow am gestrigen Wahlabend.

Einige Stunden später kam die indirekte Antwort des Sozialistenchefs Sergej Stanischew auf der traditionellen Pressekonferenz im Sofioter Kulturpalast: „Ich sehe keinen Anlass für einen Rücktritt“, erklärte Stanischew, der auch der Partei der europäischen Sozialisten vorsteht. „Wir haben eine schwache Leistung erbracht“, räumte er die Niederlage der Sozialisten ein. „Einer der Gründe dafür ist, dass wir es nicht vermocht haben, unsere Anhänger für die Europawahlen zu begeistern. Wir akzeptieren diese deutliche Vorwarnung. Jetzt brauchen wir klare Ziele in der Sozialpolitik“, betonte Sozialistenchef Stanischew.

Ein weiterer Grund für die klare Wahlniederlage ist für ihn die Splitterung im linken politischen Spektrum. Gemeint ist die Bürgerinitiative des früheren sozialistischen Präsidenten Georgi Parwanow, ABV, die als eine Alternative der ehemaligen Kommunisten in die Wahl ging und knapp vier Prozent der Stimmen erhielt. Die Sozialisten betrachten aber auch die Krise in der Ukraine als eine weitere Ursache für den Stimmenverlust, denn dieser Konflikt habe laut Stanischew die Bulgaren in proeuropäisch und prorussisch geteilt.

Solche Schwierigkeiten hatte der Juniorpartner in der Regierung, die Partei der bulgarischen Türken DPS, wohl nicht. Sie legte deutlich zu und zog mit den Sozialisten fast gleich. „Wir sind nach wie vor die drittstärkste politische Kraft in Bulgarien“, sagte DPS-Chef Lütwi Mestan. „Ob es uns nun gefällt oder nicht, seit etlichen Jahren regieren in Bulgarien Koalitionsregierungen. Die Zeiten sind vorbei, als Parteien aus dem Nichts kamen und die Wahlen überzeugend gewannen“, fuhr Mestan fort. „Die Tatsache, dass bereits ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee, das wir mit einem Opponenten führen, die Geister erregt, verweist darauf, dass wir nur schwer zu einem Dialog durchringen. Im Namen des nationalen Interesses gehen wir darauf ein, sind aber nicht zu einem Einvernehmen bereit“, betonte Mestan am Wahlabend.

Und dennoch gibt es einen neuen Spieler auf der politischen Bühne, der sich mit einem Mal ein fettes Stück vom Kuchen abschneidet und gleich zwei Abgeordnete nach Brüssel schicken wird. Es ist Nikolaj Barekow und seine Partei „Bulgarien ohne Zensur“. Auch der einstige Fernsehmoderator sprach sich für vorgezogene Parlamentswahlen und einen Dialog zwischen den Parteien aus. Die Parteien müssen seiner Ansicht nach einen Plan zur Bewältigung der politischen Krise ausarbeiten. Eine neue Regierung müsse her – eine Übergangsregierung, unterstützt vom Staatspräsidenten, die die Wahlen vorbereiten soll.

Neuwahlen fordert auch der Reformblock, der sich nach den Regierungsprotesten im vergangenen Sommer als Zusammenschluss verschiedener Absteiger aus Mitte-Rechts bildete. Radan Kanew, der Co-Vorsitzende des Reformblocks, kommentierte den Wahlausgang so: „Wir haben unser Ziel verfehlt“, sagt Kanew. „Mit einem Mandat im nächsten Europaparlament bei unserer ersten Wahl haben wir aber eine klare Ansage gemacht. Hinter dem Reformblock stehen mehr als eine halbe Million Bulgaren, die im heutigen bulgarischen Parlament unvertreten geblieben sind. Unser nächstes Ziel wird, diese Menschen bei den nächsten Wahlen in Bulgarien zu den Urnen zu bringen“, sagte Radan Kanew.

Er bezeichnete die gestrige EU-Wahl als eine Schlappe für die EU-Skeptiker. In Bulgarien haben sie keine Chance gehabt und blieben weit abgeschlagen. Zugleich aber zeigten sich alle politischen Kräfte enttäuscht über die niedrige Wahlbeteiligung. Für viele Sofioter rührt sie allerdings nicht vom EU-Skeptizismus her, sondern eher von der großen Enttäuschung von den heimischen Politikern. Dieser Meinung ist Stela Stefanowa, die überzeugt ist, dass man unbedingt wählen gehen muss. „Die Europaabgeordneten sind natürlich auch dazu da, um die nationalen Interessen ihres Heimatlandes zu vertreten“, sagt sie.

Ljuben Konstantinow ist Anwalt und überzeugt, dass man sogar die Wahlpflicht in Bulgarien einführen soll. „Wir brauchen höhere Wahlbeteiligung und deshalb denke ich, dass die Wahlpflicht eingeführt werden muss. Dann werden sich die negativen Begleiterscheinungen, wie Stimmenkauf, auf das Wahlergebnis nicht mehr so stark auswirken“, meint Ljuben Konstantinow.

Nicht gewählt haben auch recht viele junge Menschen. Darunter ist auch Blagorodna: „Die antretenden Parteien haben mich nicht überzeugt“, sagt sie. „Ich habe kein neues Projekt entdeckt, das ein Neuanfang sein könnte. Ich vertraue den Politikern nicht und deshalb gehe ich nicht wählen“, sagt Blagorodna.

Die niedrige Wahlbeteiligung haben auch die politischen Beobachter betont. Der Politologe Ognjan Mintschew sieht aber auch große Veränderungen auf der politischen Bühne Bulgariens. „Das politische Gleichgewicht ist sehr verändert und als Folge sind Neuwahlen nicht auszuschließen“, sagt Ognjan Mintschew. „Im gesamteuropäischen Kontext haben die EU-feindlichen Parteien zwar dazugewonnen, sich aber nicht durchsetzen können. Wie in Europa, so auch in Bulgarien, haben die gemäßigten Konservativen gewonnen“, fasst der Politologe zusammen.

Für die Wahlbeobachter liegt der Schwerpunkt bei der gestrigen EU-Wahl woanders. Antoaneta Zonewa betont die besorgniserregende Tendenz der steigenden Bedeutung von Stimmenkauf. „Die bulgarische politische Bühne hat eine genmodifizierte Partei betreten: „Bulgarien ohne Zensur“, sagt die Wahlbeobachterin. „Ich habe den Wahlkampf dieses Neulings in der bulgarischen Politik sehr aufmerksam verfolgt und behaupte, dass er gegen alle Regeln geführt wurde. Die Herkunft der beträchtlichen Finanzierung dieser Partei, die den Einzug ins Europaparlament aus dem Stand schaffte, bleibt ein streng gehütetes Geheimnis. Diese Partei hat massenweise Wahlmanipulation betrieben, nun ist die Staatsanwaltschaft am Zug“, fordert die Wahlbeobachterin Antoaneta Zonewa.

Übersetzung und Redaktion: Vessela Vladkova



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