Die Kresna-Schlucht zählt zu den artenreichsten Gebieten Bulgariens, ist Teil des Natura2000-Netzes und laut Birdlife International ein bedeutsames ornithologisches Gebiet. Die erneute Ansiedlung einer Kolonie von Gänsegeiern in der Schlucht war für die Naturschützer zweifelsohne ein großer Erfolg, da diese Vogelart seit 60 Jahren in Bulgarien ausgestorben war. Der Grund – Viehzüchter waren massenweise mit Gift vorgegangen, um sich gegen die Übergriffe dieser Raubvögel auf ihre Herden zu wehren. Auf einer Pressekonferenz im August vergangenen Jahres hatten die Umweltschützer stolz erklärt: „Wir haben die Gänsegeier in den Pirin- und Balkanbergen erfolgreich wieder angesiedelt.“ Das ist das Ergebnis von 15-jährigen gemeinsamen Anstrengungen der Naturschützer von der Stiftung Zeleni Balkani (Grüner Balkan), des Fonds für wilde Flora und Fauna sowie der Gesellschaft für Wildvogelschutz.
Heute ist fast die gesamte Gänsegeier-Kolonie in der Kresna-Schlucht vergiftet. Vermutlich aus dem gleichen Grund, aus welchem die Vogelart vor Jahren von der Karte Bulgariens gelöscht wurde. Die Zahl der vergifteten Vögel wird wohl 20 erreichen und vermutlich alle Pärchen betreffen, die in diesem Jahr erstmals zu nisten begonnen hatten. Nach drei Wochen Schuldzuweisungen unter den staatlichen Behörden und den verzweifelten Versuchen der Nichtregierungsorganisationen, die Urheber dafür ausfindig zu machen, fällt das Fazit trübe aus. Offenbar ist die Zugehörigkeit der Kresna-Schlucht zum europäischen Netz für den Schutz der wertvollsten Arten und Lebensräume für die verantwortlichen Behörden kein Grund für adäquates und effizientes Handeln.
„Es ist sehr schade, dass es für Fälle, bei denen Viehzüchter bei Übergriffen von Raubtieren zu Schaden kommen, keine Entschädigungsmechanismen gibt“, kommentiert Katerina Rakowska von WWF Bulgarien. „Es gibt lediglich einen Aktionsplan für Bärenattacken, für Wölfe wurde noch kein solcher verabschiedet. Im konkreten Fall haben nur die Nichtregierungsorganisationen etwas unternommen, d.h. sie haben einen ausgebildeten Hund für die Suche nach dem Gift zur Verfügung gestellt – ohne jegliche Mitwirkung der ermittelnden- und Gesundheitsbehörden, die über Untersuchungslabors verfügen."
Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, wie Bulgarien formell um die Einhaltung der europäischen Umweltrichtlinien bemüht ist, die Behörden einem reellen Problem jedoch nicht gewachsen sind und es an elementarer Koordination mangelt.
Das ging auch aus dem jüngsten Bulgarien-Bericht zu Umweltbelangen von Februar 2017 hervor. Dabei wurden Bulgarien Fortschritte beim Ausbau des Natura2000-Netzes bescheinigt, das ein Drittel der Landesfläche und damit alle Gebiete umfasst, die von den Wissenschaftlern ausgewiesen wurden. Die einzige Ausnahme macht ein Gebiet im Rila-Gebirge, wo die seltene Groppe heimisch ist. Etliches zu tun gibt es dagegen bei der Erfassung und Kategorisierung der Seegewässer, woran man gerade arbeitet. In den grundlegenden Empfehlungen geht es um die Wiederherstellung einer effizienten Leitungsstruktur und die Stärkung der Verwaltungskapazität. Zudem fehlen Pläne für das Management von Schutzgebieten. Und es braucht Aufklärung zum Natur2000-Konzept, um den Wiederstand der Bevölkerung zu verringern.
„Es gibt mehrere Instrumente für die Verwaltung und den Schutz von Natura 2000“, erklärt Katerina Rakowska. „Beispielsweise der Erlass von Verordnungen. Leider gibt es solche nur für Vogelschutzgebiete. Das ist sehr schade, da diese die erforderlichen Schutzmaßnahmen regeln. In allen anderen Fällen werden für jedes einzelne Projekt s.g. Machbarkeitsstudien erstellt, was der Verwaltung viel Kraft kostet und Unsicherheit bei Investoren hervorruft.“
Die Managementpläne für die einzelnen Gebiete werden erst nach dem Erlass der entsprechenden Anordnungen erstellt. Ein Expertenteam hat bereits die nötigen Vorschläge für Schutzmaßnahmen in den Natura2000-Gebieten erarbeitet. Jetzt braucht es zur Erstellung der Dokumente nur noch politischen Willen, der bislang fehlt. Während wir darauf warten, geht das Organisationschaos weiter und behindert die Anstrengungen der Naturschützer, wie im Fall der Gänsegeier in der Kresna-Schlucht.
Übersetzung: Christine Christov
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