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Akzente des archäologischen Sommers 2020

Zitadelle bei Swischtow und das Despotat von Dobrudscha

Perperikon
Foto: BGNES

Wenn der Begriff „Archäologie“ fällt, denken die meisten Menschen an geheimnisumwobene Ausgrabungen und Schatzsuche. In den Augen der Archäologen sind die wahren Schätze jedoch jene Mosaiksteinchen, die das Bild von der Geschichte unserer Vorfahren vervollständigen. Obwohl die Spatenwissenschaft in Bulgarien nur unzureichend vom Staat finanziert wird, schaffen es die Wissenschaftler Jahr um Jahr neue Seiten längst vergangener Jahrtausende zu beleuchten.

Wegen der Corona-Pandemie begannen die diesjährigen Ausgrabungen mit einer gewissen Verspätung. Unter den Projekten ist u.a. auch in diesem Sommer die größte Basilika der Rhodopen-Region an der Reihe, die in die Zeit des frühen Christentums des 5. bis 6. Jahrhunderts datiert wird. Sie befindet sich auf dem Ausgrabungsfeld des antiken Heiligtums „Perperikon“. Nähere Einzelheiten teilte uns der Grabungsleiter Prof. Nikolaj Owtscharow mit:

„In der letzten Juni-Woche werden wir unsere Forschungsarbeiten wieder im Gebiet von Perperikon aufnehmen und dort bis Mitte September arbeiten. Was die anderen Objekte anbelangt, mussten wir unsere Pläne umstellen. Die Ausgrabungsarbeiten in der Zitadelle bei Swischtow, die zu den besterhaltenen mittelalterlichen bulgarischen Festungen gehört, werden wir erst im Oktober fortsetzen.

Die dortigen Ausgrabungsarbeiten des vergangenen Jahres brachten mich auf die Idee, das Buch „Dracula – die bulgarische Version“ zu schreiben, das sich eng auf die Festung von Swischtow bezieht. Nur wenige Menschen wissen, dass die walachischen und moldawischen Woiwoden, einschließlich Vlad III. Ţepeş (genannt Dracula), bis in das 17. Jahrhundert hinein als Muttersprache Bulgarisch gesprochen haben. Das sage ich nicht, um mich mit unseren Nachbarn zu konfrontieren, sondern weil die Bulgaren die Wahrheit wissen müssen. Es ist sehr wichtig, dass ein Archäologe auch ein guter Historiker ist, um die Bedeutung dessen, was er in den Erdschichten findet, die die geschichtliche Vergangenheit hüten, auch einschätzen kann. Oft reichen die archäologischen Methoden nicht aus.“

Der gleichen Meinung ist auch Dozentin Boni Petrunowa, Direktorin des Nationalen Geschichtsmuseums in Sofia, die hofft, dass auch in diesem Jahr die Ausgrabungsarbeiten bei Kaliakra an der Schwarzmeerküste finanziert werden, die ihrer Einschätzung nach äußerst erfolgreich sind. Schließlich gehe es um die Hauptstadt des Despotats von Dubruscha – einem bulgarischen Teilstaat an der nördlichen Schwarzmeerküste vom Ende des 14. Jahrhunderts.

„In den vergangenen 3 Jahren wurde dort in ausgesprochen reicher Schatz entdeckt, der aus über 1.000 Gegenständen aus Gold und Silberschmuck, Münzen, Bekleidungsapplikationen u.a. besteht“, erzählte die Museumsdirektorin in einem Interview für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk. „Vordem fanden wir eine einzigartige chinesische Gürtelschnalle aus Nephrit, die für hiesige Breiten äußerst ungewöhnlich ist. Eines der Gräber, das wir im vergangenen Jahr erforschten, erwies sich seinerseits als überaus reich. Es gehört einem jungen Mann, den man mit schönen Grabbeigaben bedacht hat. Darunter war ein Goldring, der sogar eine höhere Qualität der Anfertigung besitzt, als der von Zar Kalojan.

Die Aufschrift nennt den Namen „Georg der Große“; ferner ist ein Monogramm des Herrschergeschlechts der Palaiologen zu sehen. Diese Entdeckung warf viele Fragen über die Herkunft des beigesetzten Mannes auf, der höchstwahrscheinlich in verwandtschaftlichen Beziehungen zum Despoten der Dobrudscha, Dobtrotitza, stand. Um die historischen Tatsachen zu ermitteln arbeiten wir mit etlichen anderen Wissenschaftlern zusammen, die Inschriften entziffern, die Gegenstände, Gewebe und das Knochenmaterial wissenschaftlich auswerten. Es sind übrigens gerade die Gewänder, mit denen „Georg der Große“ beigesetzt worden ist, die darauf hinweisen, dass es sich um eine wichtige Persönlichkeit, mindestens um einen reichen Aristokraten, gehandelt hat.“

Und gerade darin besteht die schwierigste Aufgabe: all die ans Tageslicht gebrachten Artefakte richtig zu einem Bild zusammenzufügen, mit dem man den verblichenen Ruhm eines der letzten bulgarischen Reiche des Mittelalters wahrheitsgetreu wiedergeben kann.

Redaktion: Darina Grigorowa

Übersetzung: Wladimir Wladimirow

Fotos: Sdrawka Masljankowa und BGNES


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