Die durch den Austritt der Partei „Es gibt ein solches Volk“ aus der Regierungskoalition hervorgerufene politische Krise ist die Schlagzeile der letzten fünf Tage. Politologen und Beobachter diskutieren über die Ursachen und Folgen für die Regierungskoalition nach dem überraschenden Rückzug von Ministern aus der Quote der Partei von Slawi Trifonow.
Die internationale Situation gießt zusätzlich Öl ins Feuer des bulgarischen politischen Hexenkessels.„Einer der wichtigen Gründe für die Destabilisierung ist der Krieg in der Ukraine“, sagte der stellvertretende Parlamentspräsident Atanas Atanasow. „In diesem schweren Zusammenstoss braucht Russland einen Durchbruch in der euroatlantischen Gemeinschaft und arbeitet sehr hart in diese Richtung. Die russischen Sicherheitsdienste nutzen die politische Lage in Bulgarien aus, um das Land weiter zu destabilisieren, damit die Veränderung irgendwann dazu führt, dass Bulgarien kein sicherer Verbündeter in der euroatlantischen Gemeinschaft mehr ist.“
Was das schmerzhafte Thema des bulgarischen Vetos für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien betrifft, so ist Atanasow überzeugt, dass es aktiv als weiterer Trumpf zur Destabilisierung der Regierung von Serbien und Russland genutzt wird.
Welche Möglichkeiten gibt es in einer solchen Situation?
Aus der gegenwärtigen Lage gibt es drei mögliche Auswege, vermerkte in einem Interview für den BNR die Politologin Zwetanka Andreewa.
„Der erste ist die Bildung einer Minderheitsregierung, die bereits von der Dreierkoalition vorgeschlagen wurde. Möglich ist auch eine neue Regierung mit breitem Konsens innerhalb dieses Parlaments, wie es die Partei „Es gibt ein solches Volk“ (ITN) definierte. Der dritte Weg wären Wahlen“, sagt Zwetanka Andreewa und unterstreicht was sehr auffällig ist. Die Skandale, die wir momentan erleben, entsprechen nicht den aktuellen gesellschaftlichen Problemen. In dieser Debatte gehe es nicht um die Probleme der Menschen, sondern um den Machtkonsum, der eine zusätzliche Kluft zwischen dem politischen und dem öffentlichen Leben treibt.“
Die führende politische Kraft im Parlament, „Wir setzen die Veränderung fort“, sei für vorgezogene Wahlen zwar bereit, werde aber alles daransetzen, dass es nicht soweit kommt, erklärte Lena Borislawowa, die das Büro des Ministerpräsidenten Kyrill Petkow leitet.
„Keine parlamentarische Kraft betrachtet die vorgezogenen Neuwahlen als eine wünschenswerte Option. Deshalb glaube ich nicht, dass sie provoziert werden, davon ist Professor Alexander Marinow, Vorsitzender des Strategischen Rates beim Präsidenten, überzeugt.
„Wir setzen die Veränderung fort“, die BSP und Demokratisches Bulgarien haben den Wunsch geäußert, weiterhin zu regieren. Die Frage ist, wie sie das erreichen können. Bisher ist bekannt, dass Vertreter der Partei „Wirt setzen die Veränderung fort“ mit Abgeordneten von ITN Gespräche führen. Das Ziel ist, 12 Abgeordnetenstimmen zu erhalten, um die Aktualisierung des Staatshaushalts und wichtige Gesetze im Zusammenhang mit dem Plan für Wiederaufbau und Entwicklung verabschieden zu können.
„Die Frage ist, in welcher Form und mit welchem Argument diese politische Unterstützung gegeben werden wird. Wenn es sich um 12 Stimmen handelt, die in Abhängigkeit von der Situation mal da sind und mal verschwinden, wird die politische Position der Regierung schwach und angreifbar sein“, warnt Alexander Marinow.
„Während des 32-jährigen so genannten Übergangs in unserem Land hat es drei Regierungen gegeben, die versucht haben, Bulgarien in ein normales westliches Land zu verwandeln. Das sind die Regierungen von Filip Dimitrow, Iwan Kostow und dem derzeitigen Premierminister Kyrill Petkow“, erklärte in einem Interview für den BNR der Politikwissenschaftler Evgenij Dajnow. Er vergleicht die gegenwärtige Situation mit dieser, in der die Regierung von Filip Dimitrow gestürzt wurde.
„Filip Dimitrow hat versucht, Reformen durchzuführen und Bulgarien von Russland zu trennen, wurde jedoch gestürzt. Er hat damals gewarnt, dass die Tür zum Chaos geöffnet wird. Durch diese Tür drangen später die Mafia und die russische Agentur ein. Die derzeitige Regierung hat sich entschieden von der russischen Gasabhängigkeit gelöst und fest europäische Positionen bezogen. Das hat die Pläne der Regierungen der letzten mindestens 20 Jahre durcheinandergebracht“, ist Prof. Dajnow überzeugt.
Für den Politologen Alexander Dimitrow sind vorgezogene Neuwahlen unvermeidlich. Das Vorhaben der Viererkoalition, die Korruption zu bekämpfen, sei in Streitigkeiten über Ämter und Ernennungen ausgeartet, was die Wähler stark verwirrt habe, erklärte Dimitrow.
„Für eine Minderheitsregierung muss es eine parlamentarische Kultur geben. Wir haben sie nicht“, ist der Politologe kategorisch. „Außerdem muss es mehr Parteien im Parlament geben, andere Akteure, die nicht nominell als Regierung und Opposition festgelegt sind und gelegentlich die Vorschläge der Regierung unterstützen.“
Redaktion: Joan Kolew
Übersetzung: Georgetta Janewa
Fotos: BGNES, Archive
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