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Parlamentswahlen 2023

Auslandsbulgaren: Bulgarien ist unser aller Mutter!

Foto: Archiv

Die vorgezogenen Parlamentswahlen sind zu Ende, und die Ergebnisse sorgen erneut für Besorgnis und Verwirrung. Uns scheinen schwierige Wochen bevorzustehen, in denen wir erneut Zeuge eines Verhandlungsmarathons zwischen den politischen Kräften zur Bildung eines Kabinetts werden. Ob sich die Parteien diesmal einigen können, ist noch unklar. Aber eines ist sicher: Die Bulgaren sind müde, viele entmutigt, andere regelrecht wütend.

Im Verlauf des gestrigen Wahltages hat Radio Bulgarien etliche unserer Landsleute im Ausland befragt, wie die Wahl bei ihnen verläuft und was sie von jenen erwarten, die gewählt worden sind. In ihren Antworten überwiegen Enttäuschung und unverhohlener Schmerz über die Pattsituation, in die ihre Heimat geraten ist. Von Neuseeland und Australien über Europa, Kanada bis zu den benachbarten Balkanländern – aus allen Teilen der Welt appellieren unsere Gesprächspartner an die politische Klasse, im Namen Bulgariens Vernunft und Verantwortung an den Tag zu legen.

„Die Parteien müssen endlich ihre Feindschaften überwinden und sich an die Arbeit machen, um das Land aus der Sackgasse zu führen, in die sie es gebracht haben“, ist Sonja Arabadschiewa überzeugt, die im australischen Melbourne lebt. Sie meinte, dass unser Image in der Welt keinesfalls gut ist und das wegen der vielen vorgezogenen Wahlen. Weiter sagte sie:

„Ich möchte endlich eine funktionierende Regierung sehen. Diese Streitereien im Parlament sollten ein Ende haben. Die politischen Kräfte und Formationen müssen endlich die Kraft finden, sich zusammenzuschließen und eine stabile Regierung bilden. Mit diesen endlosen Neuwahlen werden wir in den Augen der Welt lächerlich. Und jedes Mal sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend und es kann erneut kein Kabinett gebildet werden. Wir sitzen doch alle an einem Tisch! Bulgarien ist unser aller Mutter!“, empört sich Sonja Arabadschiewa.

Sonja Arabadschiewa

Viele Menschen verließen das Wahllokal mit den Worten: „Ich hoffe, dass wir uns in den nächsten vier Jahren nicht wiedersehen“, sagte gegenüber Radio Bulgarien Kalina Bogdanowa, die seit acht Jahren in Brisbane, Australien, lebt. Es waren für sie die 4. Wahlen als Mitglied des Wahlvorstandes des Wahllokals in der australischen Stadt.

„Unsere Hoffnung alle, dass letztendlich eine reguläre Regierung gebildet werden kann. Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass Bulgarien eine ganz klare Richtung der euro-atlantischen Entwicklung einschlägt. Es darf nicht wankelmütig sein in Bezug auf seine Haltung, seinen Werten und seiner strategischen Ausrichtung. Es muss eine klare Richtung einschlagen, um die Korruption zu bekämpfen und Reformen in den meisten öffentlichen Bereichen durchzuführen, beginnend mit dem Gesundheitswesen, der Bildung und der Wirtschaft. Vor allem erwarte ich, dass Bulgarien zu einem sehr klaren Ziel, einer strategischen Position und einem Entwicklungsplan zurückkehrt. Ich glaube, das fehlt uns im Augenblick am meisten.“


Katerina Ignatowa ist Vorsitzende des Wahlvorstandes des Wahllokals in Krakau, Polen, wo sie seit 5 Jahren lebt. Sie gibt wie viele andere Bulgaren zu, die im Ausland leben, dass sich Wahlmüdigkeit breitgemacht hat. Die Tatsache motiviert sie jedoch, dass es Bulgaren gibt, die Hunderte von Kilometern zurücklegen, um ihr Wahlrecht auszuüben.

„Ich engagiere mich auch als Freiwillige an der bulgarischen Schule in Krakau und helfe den Kindern, den Kontakt zu ihren Wurzeln nicht zu verlieren, was meiner Meinung nach eine Möglichkeit ist, eine Gemeinschaft außerhalb der Heimat zu schaffen und zu aufrecht zu erhalten. Die Wahlen haben für uns im Ausland jedoch auch eine andere Bedeutung.  Sie rücken uns wieder näher an die Heimat heran. Die Lage in der Welt ist ungewiss und wir alle müssen Verantwortung zeigen.“


Swetoslawa Alexiewa lebt seit Anfang 2017 in Neuseeland und der gestrige Wahltag war für sie der erste als Wahlhelferin im Wahllokal in Christchurch. Vor Wessela Krastewa brachte sie mit Optimismus ihre Hoffnung auf eine stabile Regierung in Bulgarien zum Ausdruck.

Swetoslawa Alexiewa

Nach 15 Jahren in Neuseeland hat Denitza Stoewa gestern zum ersten Mal als Einwohnerin von Melbourne, Australien, gewählt. Der Ort ist anders, aber das politische Engagement als bulgarische Staatsbürgerin ist ungemindert hoch. Wie nicht anders zu erwarten, hat Stoewa erneut von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht, in der Hoffnung, dass eine reguläre bulgarische Regierung gebildet und das Kräftegleichgewicht wiederhergestellt wird.

„Ich habe mit Blick auf die Zukunft gewählt, mit der Hoffnung auf etwas Besseres und mit der tiefen persönlichen Überzeugung, dass man mitmachen sollte. Es wird sich nichts ändern, wenn wir unsere Arbeit nicht tun, nämlich zu wählen und Bedingungen für die Wahl zu schaffen. Aus meinen Beobachtungen im Laufe der Jahre hier glaube ich, dass die Bürger in stabilen Ländern aktiv teilnehmen, massenhaft zu den Urnen gehen, und das ist es, was die Politiker zur Rechenschaft zieht und die Dinge in Gang setzt. Die Parteien nehmen keine Rücksicht auf Nichtwähler, sondern auf Wähler, und das ist überall auf der Welt so“, sagt Denitza.

Sybilla Stojanowa lebt seit acht Jahren in Brüssel und ist Mitarbeiterin der Rechtsabteilung des Europäischen Parlaments.

Sybilla Stojanowa

„Das, was ich mir wünsche, ist, dass sich Bulgarien als vollberechtigtes EU-Mitglied verhält. Meine Freunde und ich haben das Gefühl, dass wir in einem „gespreizten“ Bulgarien zwischen irgendwelchen Auffassungen, Überzeugungen und Mythen innerhalb des Landes leben und das, was hier auf der europäischen Bühne passiert“, sagt Sibila Stojanowa und unterstreicht, dass für sie persönlich die Bildung einer stabilen, regulären, proeuropäischen Regierung sehr wichtig ist, die ihre Rolle übernimmt und mit der Umsetzung der für unser Land wichtigen Reformen beginnt, um von der EU Unterstützung zu erhalten. Es müsse mit einer routinierten Arbeit begonnen werden, die Ergebnisse bringt. „Für mich sind diese politischen Krisen destruktiv und dienen eigentlich Interessen, die wir jetzt hinter uns lassen und zu etwas Rationellerem übergehen müssen“, sagt Sybilla Stojanowa gegenüber Radio Bulgarien.

Emilijana Blagoewa ist Physiotherapeutin und Yogalehrerin. Sie lebt seit 20 Jahren in Toronto, Kanada, hat aber die Verbindung zu ihrer Heimat nicht abgebrochen. Sie fordert, dass die Wähler ein bulgarisches nationales Selbstbewusstsein besitzen und ihre Muttersprache beherrschen müssen. Was erwartet sie vom neuen Parlament?

Emilijana Blagoewa

„Zunächst muss das neu gebildete Parlament aus geistigen Menschen bestehen, die nicht ihre persönlichen Interessen, sondern die Interessen des Volkes im Blick haben. Das Wichtigste ist, dass sie Bulgarien lieben und sich nicht an fremde Mächte verkaufen. Meiner Ansicht nach markieren diese Wahlen den Beginn eines positiven Wandels in Bulgarien“, betont Emilijana Blagoewa.

Seit 15 Jahren lebt Sascho Wakaschinski mit seiner Familie im Norden Tschechiens, in der Stadt Liberec. Er sagt, dass die Wahlen für ihn ein Schritt in eine bessere Zukunft für Bulgarien sind und würde sich gern wünschen, dass ausländische Investitionen in sein Land kommen, Werke eröffnet werden und Arbeitsplätze für alle da sind:

„Ich verpasse keine Wahlen, weil ich nunmehr nach Hause, nach Bulgarien, zurückkehren will. Uns geht es im Ausland gut, weil wir hier Arbeit haben. Es ist aber nicht unser Zuhause. Was man auch immer tut, man bleibt immer ein Ausländer.“

In den letzten Jahren ist die bulgarische Gemeinschaft in Irland gewachsen. Und während die Bulgaren dort in den großen Städten entfremdeter leben, sind sie in den kleineren, etwa in Shannon, geselliger und teilen häufiger ihre Sorgen und Hoffnungen in Bezug auf Bulgarien. „Die Makel in unserer Politik und Gesellschaft sieht man am besten aus dem Ausland“, sagt Daniela Georgiewa, Vorsitzende der bulgarischen Gesellschaft „Wassil Lewski“ in der Stadt Shannon:

„Was ich in Bulgarien gern sehen möchte, ist ein Ende der unaufhörlichen Kontroversen - im Land, wie auch zwischen den Menschen.  Was auch alles in Bulgarien in Angriff genommen wird, stößt auf die unterschiedlichsten Reaktionen. Und genau dann, anstatt nach Lösungen oder einen Ausweg aus einer Situation zu suchen, „wirft man einen Stock zwischen die Speichen“. Daher auch die ewige Spaltung in unserer Gesellschaft.“

Wahlvorstand in Ennis, Republik Irland

Der in Den Haag lebende Rechtsanwalt Martin Petrow, der viele Jahre im Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien tätig war, betont die Bedeutung der Wahlbeteiligung für die Repräsentanz der Wahlergebnisse.

Martin Petrow

„Die stündige Durchführung von Wahlen, die dem Steuerzahler Unmengen kosten, ist für niemanden gut“; meint er lakonisch.

Zusammengestellt: Weneta Nikolowa (nach Interviews von Wessela Krastewa, Miglena Iwanowa, Gergana Mantschewa und Joan Kolew)
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Fotos: Privatarchiv




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