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Kommunalwahlen 2023

Mehrheitlich gewählte Bürgermeister werden mit Gemeinderäten verschiedener politischer Couleur regieren

Foto: BGNES

Zwei wichtige Fragen prägten die erste Runde der Kommunalwahlen am letzten Sonntag. Wird die Abschaffung der maschinellen Wahl am Vorabend der Abstimmung zu einer Mobilisierung der Wähler führen aufgrund der Annahme, dass das Votum im letzten Moment manipuliert werden könnte? Wird es in den Großstädten zum Machtwechsel kommen und wie wird sich dieser auf die Machtverteilung auf nationaler Ebene auswirken?

Widin
Der Wahltag begann mit Hoffnungen. Die Hoffnungen der Wähler in Widin sind die gleichen wie in jedem beliebigen Ort in Bulgarien.


„Es soll keine Drogenabhängigkeit geben und alles getan werden, damit es eine Zukunft gibt...“, sagt der Eine und der Andere ergänzt: „Saubere Stadt, schöne Straßen, Sportplätze. Die Obrigkeit sollte nicht so viel klauen!“

„Arbeit muss es geben, denn die Stadt entvölkert zunehmend. Der Bürgermeister sollte ehrlich und aufrichtig sein, klug und verantwortungsvoll, mit Werten…und kreativ.“

Die Politiker schritten zu den Wahlurnen – einige, um in die Kamera zu lächeln, andere mit ernsten Botschaften, massenhaft wählen zu gehen, um Manipulationsversuche zu vereiteln. Trotzdem blieb die Wahlbeteiligung gering – rund 37 % in der Hauptstadt.

Nachdem angekündigt wurde, dass der Wahltag zu Ende ist, kamen die Politologen, Soziologen und Journalisten an die Reihe, um die Wahl zu analysieren, die unter außergewöhnlichen Umständen durchgeführt wurde, denn im letzten Moment wurde die Möglichkeit, maschinell azustimmen, außer Kraft gesetzt.

Parwan Simeonow
„Es gibt Dinge, die hervorgehoben werden sollten“, sagte der Politikwissenschaftler und  Geschäftsführer von „Gallop International Balkan“, Parwan Simeonow. „Erstens ist das die solide Leistung PP-DB entgegen den Erwartungen. Ich vermute, dass durch die Abschaffung der Maschinenwahl ein Mobilisierungseffekt erzeugt wurde. Das zweite bemerkenswerte ist, dass die Partei Wasrazhdane eine weitere Wahl abwarten muss, um sich zur zweitstärksten politischen Kraft erklären zu können. Und noch ein Fakt – das schwache Abschneiden von GERB entgegen den Erwartungen.“

Ljubomir Alamanow
Der Experte für Kommunikation und politische Kampagnen, Ljubomir Alamanow, konzentrierte seine Analyse auf die Situation in Sofia. Ihm zufolge ist WassilTersiew, der nach der ersten Wahlrunde für den Posten  des Oberbürgermeisters in Sofia überzeugend führt, eine unbestrittene Führungspersönlichkeit der PP-DB, insbesondere unter jungen Leuten und IT-Experten, die mit Startups zu tun haben und nicht so ideologisiert sind (in Anbetracht der familiären Herkunft und im Zusammenhang mit der ehemaligen Staatssicherheit, Anm. des Autors). Sie alle, behauptet der Analytiker, sehen in ihm einen aktiven, erfolgreichen Mann, der durch seine kostenlose Akademie anderen geholfen hat, genauso erfolgreich zu werden wie er selbst.

„Was die Kandidatur von GERB, den TV-Journalisten Anton Hekimjan anbelangt, der zurzeit an dritter Stelle rangiert, so hat in diesem Fall das Mythologem „Ich nehme eine sehr bekannte Persönlichkeit, stelle sie auf und bin erfolgreich“ nicht funktioniert“, sagt Ljubomir Alamanow und fügt hinzu, dass es ein großer Fehler war, denn Anton Hekimjan war unvorbereitet und das war ihm anzusehen.

„Bei der ersten Wahlrunde gibt es dennoch eine Überraschung und das ist die Wahlkampagne von Wanja Grigorowa (laut Parallelauszählung von Gallup an zweiter Stelle, Anm. der Red.), die sehr gut war. Es ist ihr gelungen, Wähler von GERB und Wasrazhdane anzuziehen, indem sie zu den alten Wurzeln der sozialistischen Propaganda zurückgekehrt ist, und sich als eine Art Mutter der Hauptstadt dargestellt hat, die sich um alle kümmern wird.“

Andrej Rajtschew
„Wenn sie ihre Aufrichtigkeit verliert, wird sie alles verlieren“, kontert der Politikwissenschaftler Andrej Raitchew mit Blick auf den außergewöhnlichen Erfolg von Wanja Grigorowa, der es gelang, GERB aus dem Kampf um die Hauptstadt zu verdrängen, nachdem die Partei von Bojko Borissow fast zwei Jahrzehnte an der Spitze der Hauptstadt war. Die Kandidatin der Linke für den Posten des Oberbürgermeisters von Sofia, Wanja Grigorowa, ist jedoch ein neues Gesicht in der Politik. Bisher war sie eine Gewerkschaftsexpertin. Das veranlasst den politischen Analysten, ihre Fähigkeit in Frage zu stellen, zwei schwer zu umwerbende Wählergruppen, die von GERB und Wasrazhdane, zu umwerben, von denen der Erfolg der Stichwahl am 5. November abhängt.

Die Bürgermeister der Ortschaften sind die Personen, für die die Bulgaren mehrheitlich stimmen, aber die Lösung der Probleme vor Ort hängt weitgehend von den Gemeinderäten ab, die die Regeln festlegen. Die Gemeinderäte setzen sich für gewöhnlich aus wenig bekannten Personen zusammen, die auf den Parteilisten stehen. Ihre Zusammensetzung wird in der ersten Runde der Kommunalwahlen festgelegt. Die Ergebnisse der Wahlen am 29. Oktober werden also die Zusammensetzung der Gemeinderäte bestimmen, die in den nächsten vier Jahren arbeiten werden, unabhängig davon, welcher Bürgermeister gewählt wird. Genau aus diesem Grund suchen die Analysten nach einer Verbindung zwischen dem Votum der Bürger, den möglichen Partnerschaften der Parteien vor Ort und deren Auswirkungen auf die derzeitige Regierung, die von GERB-SDS und PP-DB gestützt wird.

„Diese Verbindung zwischen GERB-SDS und PP-DB ist geopolitisch motiviert. Sie ist nicht auf die Situation in Bulgarien zurückzuführen, sondern auf die Situation um Bulgarien herum“, erklärt der Politologe Andrej Raitschew. „Die Faktoren, die sie verursachen und aufrechterhalten, sind der Krieg in der Ukraine und, Gott bewahre, eine Ausweitung des Krieges im Nahen Osten. Das ist wichtig für Bulgarien, denn nur so können wir uns in einer so schwierigen Zeit intern stabilisieren. In diesem Sinne denke ich, dass sie diese Verbindung in der Regierung nicht lösen werden und auch jegliche Konflikte in den kleineren Städten meiden werden.“

Iwo Indzhow
„Diese Regierung hat gute Ziele. Die Frage ist aber, wie sie umgesetzt werden", sagte im Interview für BNR-Radio Sofia Iwo Indzhow. "Die Justizreform ist nirgendwo angekommen, die Reform der Staatsanwaltschaft findet ebenfalls nicht statt, und es gibt Vermutungen, dass die Verfassungsreform, deren Kernstück die Justizreform ist, vereitelt wird. Das Vorgehen gegen Lukoil und die Streichung der Maschinenabstimmung zeigen, dass Bojko Borissow und Deljan Peewski die Tagesordnung des Kabinetts vorschreiben und zunehmend Machtansprüche erheben. Im Klartext: Jeden Moment können sie der Regierung den Boden unter den Füßen wegziehen, so dass die Verbindung von GERB-PP-DB auseinanderfällt.“

Während wir noch darüber sinnieren, wie wir uns in der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag verhalten sollen, muss das Oberste Verwaltungsgericht über den Einspruch der PP-DB gegen den Beschluß der Wahlkommission entscheiden, die maschinelle Stimmabgabe bei den Kommunalwahlen zu streichen. Es ist möglich, dass die Wahlmaschinen schnell wieder zu den Wahllokalen zurückgebracht werden oder die Unzufriedenheit der Bürger eskaliert. Hinweise dafür gab es am letzten Samstag als es zum Massenprotest vor dem Gebäude der Zentralen Wahlkommission kam.

Text: Diana Zankowa nach Interviews von Diana Jankulowa, BNR-Horizont und Latschesar Hristow von BNR, Radio Sofia.

Übersetzung: Georgetta Janewa



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