Am 16. April 1879 wurde die erste Verfassung Bulgariens – die Tarnower Verfassung – vom Verfassungsgebenden Versammlungsgremium verabschiedet und von den Abgeordneten unterzeichnet. Sie bildet die rechtliche Grundlage für den Aufbau des neuen bulgarischen Staates nach der Befreiung (1878) im 19. Jahrhundert. An der Versammlung nahmen 230 Volksvertreter aus den Gebieten des künftigen Fürstentums Bulgarien teil, sowie der besondere Vertreter des Fürsten Dondukow-Korsakow, Sergej Lukijanow, der auch den Entwurf der bulgarischen Verfassung verfasste. Vertreter der Bulgaren aus den noch unter osmanischer Herrschaft stehenden Gebieten Thrakien und Mazedonien wurden nicht zugelassen.

Von den 230 Teilnehmern waren 117 bulgarische Abgeordnete – darunter Vorsitzende des höheren Klerus, Vorsitzende von Kreisgerichten und anderen Institutionen, 89 Abgeordnete wurden vom Volk gewählt, und 24 wurden direkt vom Fürsten Dondukow-Korsakow als Vertreter verschiedener Gemeinschaften in Bulgarien ernannt.

Dies zeigt, dass das bulgarische Volk trotz der langen osmanischen Herrschaft in der Lage war, würdige und fähige Vertreter zu entsenden, die Weitsicht bewiesen – und das in einer für sie neuen Tätigkeit: der parlamentarischen Arbeit. Unter den Abgeordneten befanden sich die ersten Baumeister des modernen Bulgariens, wie der Historiker Simeon Radew in seinem berühmten Buch beschreibt.
Die Sitzungen in Tarnowo wurden auch von Vertretern der Staaten verfolgt, die den Berliner Vertrag unterzeichnet hatten – Deutschland, Frankreich, England, Italien, Österreich-Ungarn, Russland und Türkei. Zudem kamen Journalisten europäischer Zeitungen.
„Da Tarnowo damals die größte Halle Bulgariens hatte und die Erinnerung daran noch lebendig war, dass Tarnowo das Zentrum und die Hauptstadt Bulgariens vor der Unterwerfung unter die türkische Herrschaft war, fand genau hier die Verfassungsgebende Volksversammlung statt“, erklärt Dr. Iwan Zarow, Historiker und Direktor des Regionalhistorischen Museums in der alten Hauptstadt, zu dem auch das Museum „Wiedergeburt und Verfassungsgebende Versammlung“ gehört.

„Interessant ist auch, dass es keine Abwesenheiten der Abgeordneten bei den Sitzungen gab. Die Sitzungen begannen unter dem Vorsitz von Metropolit Antim I., doch schon in den ersten Tagen entfachten leidenschaftliche Debatten, und die Versammlung war schwer zu kontrollieren. Der Vorsitzende schickte einen Boten der Gemeinde los, um eine Glocke zu finden.

Er ging zu einer türkischen Schule und brachte eine Glocke zurück. Diese Glocke ist heute ein großer Schatz des Museums: einmal, weil sie bei der Ersten Volksversammlung eingesetzt wurde, und zum anderen, weil sie ein kunstvolles Messingobjekt mit Steineinlagen ist, gefertigt 1472 irgendwo in Persien. Besonders bemerkenswert ist, dass jeden Tag das Beschlossene stenografisch festgehalten, abends gedruckt und nachts in der Druckerei vervielfältigt wurde, die Ljuben Karawelow zusammen mit einem Partner im Keller des Gebäudes organisiert hatte. Am Morgen lagen die Protokolle der vorherigen Sitzung bereits den Abgeordneten vor.“

Demnächst soll im Museum auch die Druckerei rekonstruiert werden, teilt Dr. Zarow als Direktor der Institution mit.
Obwohl unerfahren in Staatsangelegenheiten, waren die Unterzeichner der Tarnower Verfassung visionäre Persönlichkeiten. „Ihr Blick richtete sich auf Jahre voraus, nicht nur auf den nächsten Tag – das unterscheidet die damaligen Abgeordneten von den heutigen“, so Iwan Zarow weiter.

Das Gebäude, in dem die Tarnower Verfassung erstellt und verabschiedet wurde, wurde vom bekanntesten Baumeister seiner Zeit, dem Wiedergeburtsmeister Koljo Fitscheto, entworfen und gebaut. „Es beherbergte immer Verwaltungsdienste wie die Gemeinde, das Gericht und einige andere Einrichtungen“, erklärt der Historiker Dr. Iwan Zarow, der das Gebäude der Verfassungsgebenden Versammlung als eines der modernen Symbole nicht nur der Stadt, sondern ganz Bulgariens bezeichnet:

„In unmittelbarer Nähe befindet sich ein kleiner Platz, der etwa 400 Jahre das Zentrum Tarnowos war. Wie üblich in einer Stadt des Osmanischen Reiches umgab diesen Platz die für die Stadtplanung jener Zeit typischen Gebäude – natürlich der Konak, das wichtigste Gebäude für das gesamte Verwaltungsgeschehen, und daneben logisch das Gefängnis. Daneben liegt der Deboj, das heute noch bestehende Gebäude des alten Archivs, das inzwischen auch ein modernes Gebäude hat. An der Stelle dieses modernen Gebäudes des Staatsarchivs stand früher das örtliche Gericht. Koljo Fitscheto errichtete dieses Gebäude innerhalb von zwei Jahren, von 1872 bis 1874“, blickt Dr. Iwan Zarow zurück.
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Autorin:Gergana Mantschewa
Übersetzt und veröffentlicht von Lyubomir Kolarov
Fotos: museumvt.com, Facebook, BTA
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