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Jugendwelle Sofia: Zu Gast bei den Pflegeeltern Milena und Iwajlo Dimitrowi

Ebenholz und Elfenbein leben in Familie Dimitrowi Seite an Seite in perfekter Harmonie zusammen
Foto: Diana Hristakiewa
Milena und Iwajlo Dimitrowi aus Sofia sind seit 15 Jahren verheiratet. Obwohl sie sehr kinderlieb sind, haben sie nur einen Sohn. Über die Gründe dafür sprechen sie nur ungern. „Das sind persönliche Sachen, die aber auch mit der wirtschaftlichen Krise und mit der Gesamtsituation in der Übergangszeit nach der Wende zu tun haben“, sagen sie. Milena war der Meinung, dass sie zwar schon zu alt ist, um selbst Kinder zu bekommen, beide haben aber nicht aufgehört daran zu denken, dass ein zweites Kind mehr Freude ins Haus bringen wird. So haben sie sich entschlossen, ein Kind zu Pflege aufzunehmen.

Das Verfahren dauert zwar Monate, ist aber dennoch kürzer, als bei einer Adoption. Sie wandten sich zunächst an die Stiftung „Für unsere Kinder“, die sich mit der Vorbereitung der Pflegeeltern auf ihre künftigen Aufgaben und mit der Popularisierung der Idee in Bulgarien beschäftigt. So hat Familie Dimtrowi nun drei Söhne, einer von ihnen ist farbig.

„Wir haben das Leben der zwei Kinder verändert, aber sie haben auch unser Leben umgestellt“, sagt Milena Dimitrowa. „Es gab auch Schwierigkeiten, besonders am Anfang, aber wir haben sie gemeinsam auch mit der Unterstützung der Sozialarbeiter aus der Stiftung überwunden. Sie haben uns beraten und haben uns sehr geholfen. Es ist sehr wichtig für Pflegeeltern, die neu sind, eine gute menschliche und fachliche Beratung zu bekommen. Die Ehrlichkeit ist besonders nützlich, weil sie uns nicht die Einzelheiten über die Schwierigkeiten erspart haben, die uns mit einem Kind aus einem Waisenheim erwarten“.

In Bulgarien ist die Möglichkeit, ein Kind zu Pflege aufzunehmen, relativ neu. Man kann das freiwillig, wie im Fall von Familie Dimitrowi machen. Es gibt aber auch Pflegeeltern, die das gegen Bezahlung vom Staat machen. Sie haben einen Vertrag, in dem sie sich verpflichten, dass zumindest ein Elternteil Vollzeit damit beschäftigt ist. Da aber die Bezahlung von ca. 200 Euro im Monat nicht besonders viel ist, ist dieser Job auch nicht sehr attraktiv. Das und auch der relativ große Verwaltungsaufwand machen den Prozess noch schwieriger. Unerklärlich bleibt auch die Tatsache, dass es bereits Eltern gibt, die eine Genehmigung erhalten haben, doch immer noch kein Kind.

Nach Angaben der Stiftung „Für unsere Kinder“ gab es im letzten Jahr in Bulgarien nur etwa 220 Kinder, die in einer Pflegefamilie aufgenommen wurden. Momentan werden von der Stiftung 36 Familien aus Sofia auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet. Bis Ende letzten Jahres waren es nur fünf, was für eine Stadt mit fast zwei Millionen Einwohner ziemlich wenig ist. „Oft verstehen die Menschen nicht, worum es geht und können sich mit der Idee nicht anfreunden. In unserem Fall war es sogar noch krasser – ein schwarzes Kind, wie könnt ihr nur! Das denken sich die Menschen oft, wenn sie uns auf der Straße begegnen. Ich habe auch schon einige fertige Antworten darauf“, sagt Iwajlo und weiter:

„Ich habe die Eigenschaft, mich in die Lage der Kinder zu versetzen und somit auch die Welt mit ihren Augen zu sehen“, sagt er. „Zumindest glauben wir in unserer Familie daran, dass die Kinder mit ihrer Geburt einen Charakter und eine Persönlichkeit haben, die von uns respektiert werden. Die Eltern haben unserer Meinung nach eher eine Beobachterfunktion, sie sollen sich um die Kinder kümmern, aber nicht ihnen ihre eigenen Ansichten aufdrängen. Wir glauben nicht an das Materielle im Leben, sondern an die Kommunikation miteinander und mit den Kindern, wichtig für uns ist die Möglichkeit, uns zusammen zu setzen und zu basteln, zu malen, etwas gemeinsam zu schaffen. Ihnen die Welt zu erklären und sie auf ihr Leben vorzubereiten. Wenn man die materiellen Sorgen vergisst, entdeckt man so viele andere Sachen, die sich lohnen, darüber nachzudenken und sie zu erforschen. Dazu gehören die gemeinsamen Stunden mit den Kindern und ihr Lächeln“.

Milena hat eine Liste der Dinge zusammengestellt, die die Kinder vor ihrer Ankunft in der Familie nicht gemacht haben.

„Stellen sie sich Kinder vor, die mit sechs und sieben Jahren noch nie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren sind, noch kein Eis gegessen haben, noch nie in die Berge oder am Meer gewesen sind. Sie waren noch nie Fahrrad oder Schlitten gefahren und wussten nicht, dass der Hund auch ein Freund des Menschen sein kann. Sie waren vorher noch nie im Kino gewesen und wussten nichts über die Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Ofen etc.“, erzählt Milena. „Sie haben mit großem Interesse beobachtet wie die Mütter ihre Kinder umarmen und sie küssen. Sie wussten nicht, wie man „Guten Tag“ und „Guten Abend“ sagt. Sie waren noch nie beim Zahnarzt gewesen und wussten nicht, dass Menschen sterben und danach begraben werden. Sie haben noch nie ihre eigenen Sachen wählen können. Hatten noch nie eine Geburtstagsfeier gehabt. Die Liste ist noch lang. Sie gibt nur ein Teil des Bildes wieder, was es bedeutet, in einer staatlichen Kindereinrichtung aufzuwachsen und welche Veränderungen die Aufnahme in einer Pflegefamilie bedeutet. Ich hoffe nur, dass mehr Menschen in Bulgarien sich dafür entscheiden und den Kindern mindestens einiges aus der Liste ermöglichen können. Denn wir wollen letztendlich vollwertige Mitglieder der Gesellschaft erziehen, die erfahren können, was die Wärme eines Zuhauses bedeutet“.

Übersetzung: Milkana Dehler
По публикацията работи: Diana Hristakiewa


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