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Der bulgarische Wald – Segen und Qual

Foto: Diana Hristakiewa
Einer der beliebtesten Lieder der Bulgaren trägt den Titel „Wie schön du bist, mein Wald“. Besungen wird die unvergleichliche Pracht unseres Naturreichtums. Laut einer jüngst durchgeführten Umfrage sind die Bulgaren auch heute sehr naturverbunden. Über 70 Prozent unserer Landsleute sind vor allem um die dem Wald zugefügten Schäden besorgt. Der Beweis dafür ist ein in letzter Zeit unter Jugendlichen weit verbreiteter Hit mit dem vielsagenden Titel „Die Bäume leiden!“ Zudem sind die Jugendlichen in der Gegenwart die am stärksten engagierten Naturschützer, was die bulgarische Natur retten könnte.

Die Vorliebe der Bulgaren für den Wald ist verständlich. Immerhin ist in den bulgarischen Wäldern und Gebirgen ein Großteil der reichen Biovielfalt des Landes anzutreffen. Zumal Bulgarien in Sachen Artenvielfalt zu den Top3 Europas zählt.



Einst bedeckten jungfräuliche Wälder den gesamten Balkan. In den geschichtlichen Analen hervorgehoben wird der „Magna Silva Bulgarorum“, der „große Wald der Bulgaren“. Heute ist ein Drittel der Landesfläche bewaldet. Laut Hristo Nikolow, Forstwirt und Vorsitzender der Vereinigung „Grüner Balkan“, unterscheide sich der bulgarische Wald vom traditionellen europäischen Wald. Als Grund dafür nennt er die spezifische Lage Bulgariens an einer Wasserscheide zwischen drei biogeografischen Zonen - der Kontinentalzone, der Mittelmeerzone und der Ponto-kaspischen Region. Und so treffen Wanderer in den bulgarischen Wäldern auf hohe Gipfel mit alpinem Bewuchs, auf Südabhänge mit Mittelmeerflora oder auf immergrüne Feuchtgebiete. Die Biovielfalt hat zudem zahlreiche Endemiten hervorgebracht, die ausschließlich in Bulgarien oder auf dem Balkan anzutreffen sind.

„In diesem Zusammenhang möchte ich die Rhodopenlilie erwähnen“, so Hristo Nikolow. „Sie ist nicht nur ein Endemit, sondern auch eine ausgesprochen schöne Blume, die es gegen jede Zuchtblume aufnehmen kann. Sie wächst an nur wenigen Standorten in den mittleren Rhodopen. Derartige Standorte könnten in botanische Wanderrouten aufgenommen werden. In der Region um Krumowgrad steht die letzte Thrakische Eiche, eine interessante botanische Sehenswürdigkeit. Das Symbol unserer Vereinigung ist das Blatt einer Wildkastanie, die als dekoratives Gewächs anzutreffen ist und weltweit die Parks schmückt. Allerdings ist nur wenigen bekannt, dass dieser Baum aus Bulgarien stammt. Seine Urform ist nur in Bulgarien anzutreffen und zwar im Preslaw-Balkan. Vor mehreren hundert Jahren wurde die Wildkastanie kultiviert und dient seitdem der Bepflanzung von Grünflächen.“



Übrigens gilt Bulgarien auch als die Urheimat der Eiche. Genauer gesagt ist die Armenische Eiche der Stammvater aller Eichenarten in Europa. Ebenfalls interessant ist die Tatsache, dass es in Bulgarien noch jungfräuliche Wälder gibt, in die bisher keine Axt vorgedrungen ist. Diese Wälder beherbergen eine reiche Flora und Fauna. Forstwirt Hristo Nikolow verweist in diesem Zusammenhang auf die außerordentliche Landschaftsvielfalt der bulgarischen Wälder.

„Die bulgarische Wald- und Gebirgslandschaft ist der größte Reichtum unseres Landes. Dieser Reichtum ist die Quelle des künftigen Aufstiegs als Tourismusdestination, als einer der wenigen Standorte in Europa, die bisher von der Urbanisierung verschont geblieben sind. Derartige Landschaften ziehen heute Investitionen an. Länder wie die Schweiz investieren enorme Summen in die Wiederherstellung von Landschaftsgebieten, die vor 50 bis 100 Jahren verloren gingen. Bulgarien muss nicht investieren, sondern sich des Reichtums dieser Landschaften bewusst werden und diese erhalten. Für Standorte mit atemberaubendem Ausblick könnte man beispielsweise umweltschonende Branchen wie Informationstechnologien anziehen. Dort könnte sich die hochgebildete Elite Europas ansiedeln. Diese Ideen werden sie jedoch in keiner offiziellen Entwicklungsstrategie finden.“

Utopie? Vielleicht doch nicht. Jedenfalls sind diese Ideen besser, als die Praktiken der letzten Jahre. Denn solche jungfräuliche Flecken Erde wurden halblegal, am Rande des Gesetzes bebaut. Das schmerzt nicht nur uns Naturschützer, sondern auch die Bevölkerung. Die Rede ist von Missbrauch durch Tauschgeschäfte, bei denen attraktive staatliche Waldgrundstücke an der Schwarzmeerküste und in den Gebirgen gegen Grundstücke in unattraktiven Gegenden getauscht wurden. Das Ziel der Tauschgeschäfte war von Anfang an die Bebauung und somit die unvermeidliche Abholzung des Waldes.

„Bulgarien hat seine schönsten, biologisch wertvollsten und meist unikalen Waldlandschaften an 70 bis 80 einheimischen ‚Oligarchen` verkauft oder besser gesagt verschenkt“, empört sich der Vorsitzende der Vereinigung „Grüner Balkan“, Hristo Nikolow. „Dabei handelt es sich um rein staatlichen Wald in der 5km-Küstenzone oder in den malerischsten Gegenden der Rhodopen, wie Schiroka Laka, Gela und Stojkite, entlang der schönsten Gipfelkämme der Rhodopen, mit herrlichen Wiesen und Ausblicken. Die schönsten Gegenden des Landes, sozusagen ‚Das Feinste vom Feinsten`, wurden spottbillig verscherbelt, ein internationaler Präzedenzfall, der seinesgleichen sucht. Selbst in Lateinamerika und Kolumbien werden staatliche Naturgebiete lediglich an regierungsnahe Angehörige verpachtet. Und – selbst während der türkischen Fremdherrschaft erlaubten es sich die Sultane nicht, ihre Angehörigen mit derart großen Grundstücken aus dem bulgarischen Waldbestand zu beschenken.“

Das Ausmaß des Missbrauch ist in der Tat beeindruckend:
„Verscherbelt wurden 7.000 Hektar einzigartige Wälder an der Schwarzmeerküste und weitere 1.000 Hektar in den Wintersportzentren“, behauptet Forstwirt Hristo Nikolow. „Dabei handelt es sich um eine Fläche von fast 11.000 Fußballstadien. Einschließlich der Agrarflächen wurden 39.000 Hektar verscherbelt und der Vernichtung preisgegeben. In der modernen bulgarischen Geschichte gibt es kein skrupelloseres Verbrechen als diese Tauschgeschäfte. Seit geraumer Zeit gibt es an unserer Schwarzmeerküste gewaltige Privat-Residenzen, die sich über sieben Kilometer erstrecken. Ein Beispiel dafür ist die Gegend Silberfelsen zwischen Baltschik und Kawarna, die heute im Privatbesitz eines Unternehmens ist, das in der Vergangenheit für Negativschlagzeilen sorgte. Einem anderen Unternehmer gehören 100 Hektar Küste nahe der Mündung des Kamtschja-Flusses, einem Naturschutzgebiet. Es ist soweit gekommen, dass den Bewohnern des Küstendorfes Dolen Tschiflik künftig der Blick auf das Meer versagt bleibt, da an der Küste ein mehrere Kilometer langes Privatanwesen gebaut wurde , das nun umzäunt werden soll. Die Marktpreise der Grundstücke in der Donaustadt Widin oder nahe des Wärmekraftwerkes Maritza-Ost sind 1.800 mal billiger, als dieser attraktive Teil des staatlichen Küstenstreifens, gegen den sie getauscht wurden. Das Tauschgeschäft kann man nicht einmal als Verkauf `Für'n Apple und'n Ei` bezeichnen. Treffender wäre vielleicht der Vergleich `Tausch von Floh gegen Elefant“, so der Forstwirt Hristo Nikolow.

Enttäuscht darüber, dass das Parlament ihren Gesetzentwurf über die Annullierung der Verfügungen zu diesen Tauschgeschäften abgelehnt hat, wollen die Naturschützer jetzt ein halbe Million Unterschriften für ein Referendum sammeln. Dieses soll den Gesetzgeber dazu zwingen, sich dem Willen des Volkes zu beugen.

Übersetzung: Christine Christov
По публикацията работи: Maria Dimitrowa


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